2017-2018 – Komödie

Impulsthema 2017/2018

Komödie

Zum Geleit

Dieser Reader kommt spät. Sehr spät. Es ist wie beim Clown in der Manege. Er versucht etwas – und wird abgelenkt. Dann erinnert er sich an sein Vorhaben – und wird wieder abgelenkt. Und so weiter, bis er es unter dem tosenden Applaus der Menge endlich schafft:

Hier ist er, der Reader zu unserem Impulsthema 2017/18 zum Thema Komödie.

Wir sind die Clowns. Wir führen Nummern vor. Doch Komödie ist mehr. Es ist etwas dazu gekommen. Andere Figuren, neue Themen, eine Story, ein Hintergrund, Literatur. Sie öffnet dem Gelächter neue, ungeahnte Gefilde. Wir lachen in der Komödie über Politisches, Gesellschaftliches, Soziales, Menschliches.
Letzteres steht im Zentrum und verweist auf die Geburt der Komödie aus dem Geist der Tollpatsche, Hanswürste, Narren und Schabernacktreibenden. Der Mensch ist eitel, dumm, ver-blendet, geil, verfressen, verrückt. Eine Menge Probleme entstehen so. Kommunikation bedeutet Missverständnis, Absichten verkehren sich in ihr Gegenteil, Pläne entgleisen. Wir bli-cken in die Abgründe des echten Lebens.

Doch am Ende ist es wieder der Mensch mit seiner Findigkeit, seinem Mut, seinem Witz, seinem Erfindungsgeist, der den Knoten löst und einen vergnüglichen Weg aus dem Schlamassel findet. Damit beschert uns die Komödie beides: das Problem und die Lösung. Beides ist der Mensch.
Damit ist sie eine Schatztruhe für unsere Arbeit. Welche Chance für den spielerischen Blick auf unsere Unzulänglichkeiten. Für die Beobachtung der Welt mit ihrem Irrsinn. Welche Chance für den Weg zu einer Lösung. Und alles mit Humor und unter Gelächter, das ja ebenso verbindend wie gesundheitsfördernd sein soll.
Dazu kommt der technische Baukasten, den die Komödie fordert. Sie ist physisch – weil sie physische Themen hat und konkrete Probleme behandelt. Sie ist in ihrer Spielweise präzise und technisch, weil wir anders unsere Verirrungen nicht darstellen können. Sie ist trotz ihres Blickes auf die kleinen Dinge radikal, weil Gelächter immer einen anarchistischen Kern hat.

Damit sind wir wieder bei uns und diesem Reader. Nach vielen vergeblichen Versuchen ist er da. Nun schauen wir uns selber bei dieser weltlichen Komödie zu und fragen uns: Haben wir etwas gelernt? Mal sehen. Der Vorhang wird aufgehen und das Chaos beginnt.

Viel Freude mit Komödie!

Martin Kreidt

Das Impulsthema

1. Über Anderes zum Einen

Ich bin viel unterwegs, die Deutsche Bahn ist mein bester Freund, auch wenn es manchmal kriselt. Das gehört dazu. Viele – nicht alle – Premieren habe ich gesehen.

Wenn ich nun zwei besondere Reise-Erlebnisse hervorhebe, weiß ich um die Unvollständigkeit meiner Eindrücke. Es soll um die Chance des Impulsthemas für unsere Arbeit gehen. Um die Umkehrung des Widerspruchs von Literatur und Bildungsarmut in sein Gegenteil: Gerade Literatur für Menschen, die sie vielleicht nicht kennen gelernt haben und deshalb umso nötiger brauchen.

Was beide Projekte, die ich als besonders gelungen empfand, auszeichnete (ich spreche von den „Wahlverwandtschaften“, Regie Alberto Fortuzzi und „Clavigo“, Regie Felix Goldmann), war die Auseinandersetzung mit einer komplexen Vorlage. Wie fast in allen Projekten waren die Ensembles auch „keine leichte Kost“, also nicht aus Menschen bestehend, bei denen die Goethe GA neben dem Bett steht – so wie bei uns allen.

Bei aller Unterschiedlichkeit hatten beide Produktionen eine interessante Gemeinsamkeit: die historische Kostümierung. Ich will hier nicht für „Klassik Pur“ Werbung machen – oder von „Werktreue“ schwadronieren. Wir alle wissen, dass Kostüme noch kein Theater machen, dass Klassiker-Inszenierungen mit modernen Kostümen bestens funktionieren. Es geht mir um einen Arbeitsansatz, dessen ästhetischer Ausdruck – auch – die historische Kostümierung war.

Wir spielen Bande – Theater als Mittel und nicht Zweck. Der Umweg über die Bühne bringt die Teilnehmenden mit einer neuen Ebene in Kontakt, raus aus Eindimensionalität. Diese Dualität ist der Kunst im Allgemeinen und dem Theater im Besonderen zu eigen und macht sie einmalig, faszinierend, ja manchmal magisch: Herr Mustermann ist Hamlet und er ist nicht Hamlet – zwei sich ausschließende Behauptungen finden gleichzeitig statt. Das ist Programm: Viele Elemente der künstlerischen Arbeit weisen diese Polarität auf: Disziplin auf der einen (Pünktlichkeit!!! Verlässlichkeit!!!) versus schöpferischer Freiheit auf der anderen Seite. Beides ist notwendig. Und doch ein Widerspruch. Individueller Ausdruck versus kollektiver Sinn; Körperliches versus Geistiges – um nur die rudimentärsten Paradoxa zu nennen. Auf der Bühne finden sie zusammen.

In den Projekten erfahren die Akteure, dass Leben nicht eindimensional ist. Dass Disziplin und Freiheit keine sich ausschließenden Gegensätze sind sondern sich bedingen, dass Fremdes nah, Bekanntes fern, dass Aufgaben bewältigt und gestaltet werden können. Dazu ist es notwendig, die Gegensätze, mit denen wir arbeiten (allein das Medium Theater ist für Menschen, die noch nie in einem waren, schon einer), nicht zu nivellieren, sondern heraus zu arbeiten. Also: wie bewegt sich Körper und welches Potential steckt in ihm, was dagegen ist das Geistige, wann ist Genauigkeit, wo Freiheit im Spiel. Dabei geht es um neue Erfahrungen. Dass Herr Mustermann Herr Mustermann ist, wird jeder Teilnehmer bestätigen. Also muss er Hamlet werden.

Das Impulsthema wirft einen Anker vom Hier und Jetzt in Richtung zweite Ebene aus. Dieser Ausflug von der Wirklichkeit steht in ständiger Beziehung zur eigenen Realität. In dem Spannungsraum entstehen Möglichkeiten. Für die künstlerische Arbeit, für das Bewerbungsmanagement, für die Interdisziplin, für den/die Betreffende/n. Sich eine völlig fremde Welt, zunächst vielleicht sogar abweisend unverständlich, zu nähern, über eine Zeitstrecke hinweg, sie sich zu eigen zu machen, sich in ihr zu bewegen und schließlich von ihr zu profitieren, ist ein Erlebnis, dass fürs Leben Schule macht. Die DarstellerInnen in den beiden erwähnten Produktionen gewannen dadurch Haltung, Glanz und Strahlkraft.

Es ist der Einstieg in eine historisch andere Welt, der Möglichkeiten bietet. Er kann Geschichte plastisch machen und mündet in einer Reflektion über die eigene Herkunft und unserer kulturell politischen Gemengelage. Es ist zu kurz gesprungen, zu sagen: „Die könnten das nicht.“ Meine Erfahrung ist anders. Die Spiegelung einer fremden, meist hochdramatischen (oder wie wir aktuell sehen werden: hochkomischen) Situation ist eine Folie für das eigene Leben. Das Thema der Rollen- Fremdheit entspricht nicht nur dem (Arbeits-) Leben – um das man Herrn Mustermann bringt, wenn Herr Mustermann nur Herrn Mustermann sein darf. In den erwähnten Inszenierungen wuchsen die Teilnehmenden mit der Fremdheit einer alten Vorlage. Die historischen Kostüme waren Ausdruck eines modernen Menschen, der sich etwas ganz Ande-res „anzieht“.

Die zweite Ebene entspricht dem Grundgedanken des künstlerischen Arbeitens. Wir tragen sie in das Projekt. Wir sind die Fachleute, die Lehrenden, die Impulsierenden. Es ist kein demokratischer Prozess sondern unsere Aufgabe. Wir meinen es gut, wenn wir fragen, was die Gruppe will. Zu ausgebaut erschwert es jedoch die Konfrontation mit dem Anderen. Fremdes und Unbekanntes ruft Widerstand hervor. Auch das ist menschlich. Wir jedoch sollten zeigen, dass Fremdes mit Fleiß, schöpferischer Kraft und gemeinsamer Anstrengung erobert werden kann.

Und nun die Komödie. über Sinn und Zweck des Komischen soll später spekuliert werden. Die Komödie ist eine literarische Gattung, was sie von Comedy und Klamauk unterscheidet. Sie ist alt und vielschichtig wie ihr tragisches Pendant. Wir werden nicht darum herum kommen, uns mit Aristophanes, mit Shakespeare, Goldoni, Moliere, wie sie alle heißen, mit all den anderen Älteren und Neueren zu beschäftigen. Hinzu kommt Form, die Komödie braucht. Es spielt sich nicht von selbst. Gelächter will hart erarbeitet werden und ist ganz wesentlich eine Frage der Technik. Die Technik der Komödie müssen wir erforschen, vermitteln und erarbeiten. Wieder ein Gegensatz: Das anarchistische Gelächter basiert auf Technik, Timing, Präzision. Eine schöne Botschaft für den Transferbereich: Selbstverständlich heiter – durch harte Arbeit.

Martin Kreidt

2. Warum Komödie

Das ist ja lächerlich!

Die Wirkung der Komödie für die Persönlichkeitsentwicklung

Über die Schwächen seiner Mitmenschen zu lachen ist gehässig!
Warum darf man das eigentlich als Zuschauer in der Komödie?
Um das zu beantworten, sei ein kleiner Ausflug in die Kindheit gestattet.
Das Kind ist offen, unverstellt, es begegnet der Welt einfach. Körper und Psyche sind eine Einheit (wenn man das Kind nicht schon frühzeitig stört). Mit dem Erwachsenwerden ändert sich das. Der Charakter entwickelt sich, es gibt eine deutliche Trennung zwischen Innenwelt und Außenwelt, man beginnt zunehmend, erst den anderen und dann sich selber etwas vorzumachen. Es entsteht eine Parallelführung im Bewusstsein. Das ist auch gut so, man wird dadurch selbstständig gegenüber der Außenwelt, also erwachsen. Aber diese Parallelführung erzeugt auch eine Starre im Bewusstsein. Wir halten uns an unseren Zielen fest, unsere Vorstellungen von der Welt werden uns schnell mal wichtiger als die Wirklichkeit.

Der Clown betritt die Bühne: Mitten in der Manege liegt ein Hindernis, deutlich sichtbar im leeren Raum. Der Clown geht fröhlich seines Weges, aber jeder im Publikum weiß, er wird über den Gegenstand stolpern. Genau so geschieht es dann auch! Nun dreht er seine Runde, ist mit allerlei anderem beschäftigt, kommt wieder an das Hindernis und stolpert erneut. Und das wiederholt sich… beim vierten Mal stolpert er nicht, weil er sich diesmal an das Hindernis erinnert. – Aber beim fünften Mal stolpert er ganz gewiss wieder.

Was macht das Publikum? Es biegt sich vor Lachen bei diesem simplen Vorgang. Ist das Publikum gehässig? Nein! Jeder erkennt sich selbst in dieser Situation!
Man könnte sagen, der stolpernde Clown ist das Urbild des Menschen auf seinem Lebensweg: Um zu leben, müssen wir uns Vorstellungen über das Leben machen, wir müssen jeden Tag planen, sozusagen Strategen unseres Lebens werden. Diese Strategien sind aber fehlerhaft: Einseitig durch unseren Charakter, begrenzt durch unsere Sozialisation, korrumpiert durch unsere Wünsche und Begierden, die mit der Sache nichts zu tun haben. Das führt dann zu all den kleinen und großen Verwicklungen im Leben.

Die Schauspielkunst hat die Aufgabe, diesen Umstand deutlich zu machen. Die Tragödie schaut auf die Strategien des Lebens und zeigt die bitteren Konsequenzen der Fehler für die Mitmenschen und den Handelnden selber.

Der Gegenstand muss groß und grausam sein, damit er wirken kann. Die Komödie schaut auf den Charakter, weniger auf die Ideen. Deshalb ist auch die Handlung simpel und die Helden der Komödie tragen keine großen Ideen wie ein Hamlet; sie werden im Alltag gezeigt, in den Kleinigkeiten des Lebens, in der Absurdität und Lächerlichkeit, in die uns die Alltäglichkeit verstrickt. Da in der Komödie nicht die Konsequenz des Handelns gezeigt wird, ist es auch erlaubt, dass das Ganze mit einem Happy End schließt.

Was also passiert, wenn das Publikum sich vor Lachen biegt und sich auf die Schenkel klopft? Es ist ein befreiendes Lachen, keine Gehässigkeit über den Schaden des Anderen, das uns in der Komödie so begeistert. Denn jeder kleine Misserfolg im Leben führt auch zu einer kleinen Verhärtung in der eigenen Seele und im Körper. Die Verbitterung lagert sich sozusagen ein. Das Erleben der Komödie erlaubt uns eine Befreiung von dieser Verhärtung, eine Erstarrung, die in der ersten Stufe zum Missmut führt und im weiteren Verlauf eine resignative Lebensstimmung bewirkt.

Hier wird auch deutlich, welchen ungeheuren Wert die Komödie für die Persönlichkeitsentwicklung spielen kann. Denn der Akteur, der für das Publikum die Komödie erarbeitet, macht den Prozess der Befreiung und Selbsterkenntnis in wochenlanger Probenarbeit natürlich viel intensiver als das Publikum durch. Er muss ja verstehen, worum es geht, muss den komischen Effekt im eigenen Körper spüren und lernen, ihn bewusst herzustellen. Dadurch entsteht ein deutlicher Abstand zu der eigenen Verstrickung, der Humor erwacht! Ein Fehlschritt, ein Versäumnis, ist dann nicht mehr automatisch mit einem Frusterlebnis über die eigene Unfähigkeit verbunden. Damit entsteht eine Basis in der Persönlichkeit, auf der sich die Motivation, das Leben eigenständig und selbstverantwortlich zu führen, entwickeln kann. Ja, man könnte sagen, die Komödie gibt die Grundlage für eine kraftvolle Motivation im Leben. Der Humor überwindet alle Hindernisse!

Hans-Ulrich Ender

3. Komödie woher

Man mag sich die Geburt der Tragödie aus dem religiösen Ritual vorstellen. Der Ernst, die Konzentration, die Allgegenwart des Todes, das Opfer. Der Schritt vom Priester, der nie als Privatperson auftritt, immer ein Beauftragter ist, der durch in seine Rolle mit der Gemeinde spricht, zu einer mythischen Figur im Dialog mit dem Chor – ist ein Wimpernschlag der Säkularisierung, ein Siebenmeilen-Schritt der kulturellen Entwicklung. Und die Komödie? Sie dürfte eine ihrer Wurzeln ebenfalls im Ritus haben, in seiner entfesselten, alle Grenzen überschreitenden satyrhaften Variante, bei uns vielleicht noch am ehesten im Karneval vorstellbar. Doch so wie die Tragödie in den Rhapsoden, den Geschichten- und Mythenerzählern eine zweite Wurzel hat, so sind es bei der Komödie die Spaßmacher, Gaukler, Possenreißer. Ihre Orte: Schenken, Jahrmärkte, Volksfeste. Vielleicht ein paar Bretter – und ab geht die Post.

Der eingeweihte Diener/Vertreter des Göttlichen auf der einen, der Eingeweihte des Irdischen, Unvollkommenen, Anstößigen, Alltäglichen auf der anderen Seite als Ahnen von Tragödie und Komödie – größer kann der Abstand nicht sein. Und doch treten sie gleichzeitig in Erscheinung, werden gleichzeitig zu Literatur, treffen aufeinander. Die antiken Dionysien spielten drei Tragödien, dann eine Komödie. Das ernste Fach stieg vom Ritus zum gesellschaftlichen Ereignis ab. Das Lustige dagegen hinauf von der Entgrenzung und Jahrmarktsbelustigung in den Fokus der Stadt.

Es begegnen sich in der Literatur die Tragödie als säkularisierte Form des Gottesdienstes und die Komödie als geadeltes Gauklerwesen. Denken wir an die Orestie – als einzig erhaltene Triologie der Antike. Da geht die Sonne auf, der Wächter auf dem Palast Agamemnons beobachtet den Horizont und klagt sein Leid, bis er per Leuchtfeuerkette vom Ende des Trojanischen Krieges erfährt. Doch unter ihm, im Palast, ist Ungeheuerliches geschehen. Und Ungeheuerliches wird geschehen. Endlich kommt der Herrscher heim, wird von seiner Frau umgebracht, später sie von ihrem Sohn. Es geht über Stunden, bis Sonnenuntergang. Nach jedem Tragödien- Teil werden die Leichen der Ermordeten auf einem Wagen dem Publikum präsentiert. Schilderungen von Fehlgeburten bei dem Auftritt der Rachegöttinnen. Ein Gefühl der Angst vor Individuation und ihrer zwanghaften Folge, der Hybris. Angst vor irrationalen Göttern und Dämonen, die wie Eros in der Antigone besungen als Pfeile schickend, jeden zu jeder Zeit treffen und in die Raserei schicken. Niemand ist sich sicher. Zu keinem Zeitpunkt.

Am Ende des Tages, nach Gattenmord, Muttermord, Vatermord, Inzest, kurz nach den Perlen jeder menschlichen Gemeinschaft, kommt – die Komödie! Was für eine Inszenierung. Was für eine Dramaturgie. Nach Jammern und Schaudern befreit sich die Gemeinschaft im gemeinsamen Lachen. Es geht nicht allein um den Schrecken. Es geht nicht um Gelächter. Es geht um beides. Erst das Eine, dann das Andere. Diese Beziehung, diese Nähe zum Dunklen macht das Wesen der Komödie aus. Es ist der feine Unterschied zwischen Komödie all den anderen lustigen Darbietungsformen von Klamauk bis Comedy.

Auf was durften sich die Bürger der Stadt freuen? Schauen wir uns den „Frieden“ von Aristophanes an. Der historische Hintergrund: Schon seit längerem befindet sich Athen im Peleponesischen Krieg mit Sparta. Es geht um Vormachtstellung, Macht und wirtschaftliche Vorteile. Wie in jedem Krieg gibt es Wenige, die profitieren, und viele, die darunter leiden. So auch der Weinbauer Trygaios. Er möchte zum Olymp und sich bei den Göttern für den Frieden einsetzen. Also fliegt er auf einem großen Mistkäfer hoch hinauf, besticht Hermes, macht ihn zum Verbündeten, befreit schließlich gemeinsam mit den Chören der verschiedenen Kriegsparteien die Friedensgöttin aus einem Schacht und führt sie triumphal wieder hinunter nach Athen. So weit, so kurz. Es steckt alles drin.

Von unten
Konträr zu dem sozial höchstgestellten Personal der Tragödie sehen wir den einfachen Bürger und darunter. Trygaios ist kein Vertreter eines sagenhaften Atriden-Geschlechtes, sondern Weinbauer. Das Stück beginnt mit zwei lauthals sich beklagenden Sklaven, die Klöße aus stinkendem Mist für den Käfer kneten. Nicht nur sozial, auch rein körperlich sind die unteren Regionen präsent. Fäkal- und Sexualscherze ohne Ende.

Von Menschen
Während in der Tragödie der Handelnde ohnmächtiger Spielball eines Schicksal ist, nimmt es der Komödien-Weinbauer einfach selbst in die Hand. Er will den leidigen Krieg beenden, also fliegt er auf einem großen Mistkäfer mal eben hoch zu den Göttern. Initiative, Entschlusskraft, Einfallsreichtum, Improvisationstalent werden das Problem lösen. Die Tragödie vernichtet den Einzelnen. Die Komödie feiert ihn.

Von Wegen
Im Mythos kommen die Götter auf die Erde. Hier geht es umgekehrt. Ein Mensch fliegt hoch zu ihnen. Ist das Fortbewegungsmittel der oberen 10.000 Pferd/Streitwagen/Kutsche, wird hier der Mistkäfer genutzt. Leiden im ernsten Fach die Helden unter generationsübergreifenden Flüchen und Verstrickungen, geht es hier irdisch-real und handfest zu. Die Friedensgöttin ist in einem Schacht – also muss sie herausgeholt werden. Ganz einfach.

Von Jetzt
Der Anlass ist real und aktuell. Mit seinem Stück stellt sich Aristophanes gegen die Athener Politik. Ein einfacher Bürger löst vor den Augen aller, wozu sie nicht in der Lage oder nicht Willens ist. Doch damit nicht genug. Von der Bühne werden offen – im Publikum sitzende – Gruppen (Kriegsprofiteure) und Einzelpersonen (verantwortliche Amtsträger) angegriffen – und lächerlich gemacht.

Von Lachen
Lachen, Verlachen und Erlachen – „Der Frieden“ kann alles. Der Text ist voller Witze. Humor ist zeitbezogen und oft schlecht zu übertragen. Aber man darf wohl annehmen, dass diese Scherze das Publikum nicht todernst gelassen haben. Dann wird ausgelacht. Bestimmte Zeitgenossen bekommen ordentlich auf die Mütze, werden öffentlich bloßgestellt. Schließlich das Erlachen. Eine Lösung, die alle befreit. Der Krieg ist beendet! Frieden durch Bauernschläue, Frechheit und Entschlusskraft.

Von Form
„Der Frieden“ ist trotz seiner handfesten Handlung ein kunstvolles Produkt. Seine immer wieder den Rhythmus wechselnden Verse lassen eine ausgefeilte Form erkennen. Wie selbstverständlich wird die vierte Wand durchbrochen und zum Publikum gesprochen. Wenn Trygaios auf dem Mistkäfer gen Olymp schwebt – eine bestimmt spektakuläre Aktion in dem sonst wenig ausstattungsorientierten antiken Theater – bittet er in der Rolle den Maschinenmeister, acht auf ihn in luftiger Höhe zu geben. Er thematisiert den Theaterzauber.

Stellen wir uns eine solche Aktion in manchen Staaten unserer Zeit vor. Undenkbar! Die armen Schauspieler! In Athen war das möglich. Das wirft einen staunenden Blick auf die Rolle des Gemeinwohls, dem Politiker sich unter zu ordnen hatten – und nicht umgekehrt. Der öffentliche Diskurs-Platz dafür war die Bühne, ein offenbar unabhängiges Forum, frei. Die Komödie entfaltet subversive Schlagkraft. Der kleine Mensch löst das große Problem.

So wie das allgegenwärtige Verderben in der DNA der Tragödie liegt, so ist es bei der Komödie, die Frechheit, die Freiheit, das daraus resultierende Handlungspotential. Das hat sie belebt, beliebt – und verhasst gemacht bei denjenigen, die von ihr aufs Korn genommen wurden. Es sind nicht immer Kriegstreiber. Sie hat menschliche, persönliche, religiöse, soziale, gesellschaftliche Ziele. Sie reibt sich an der Realität, verzerrt sie, stellt sie bloß, macht sie lächerlich. Und bietet eine Lösung an! Auch wenn schon bei Shakespeare die Lösungen nicht mehr so eindeutig wie bei Aristophanes werden. Und es mit den einfachen Lösungen in der Komödien-Geschichte immer schwieriger wird. Auch das hält die Komödie aus.

Martin Kreidt

4. Erfahrung mit Komödie

Als ich mich entschied, Schauspielerin zu werden, dachte ich erstmal, dass ich auf jeden Fall eher eine Tragödin als eine Komödiantin bin. Schöne tragische Rollen werde ich sicherlich gut spielen können, dachte ich, aber das Publikum zum Lachen bringen, erschien mir fremd. Ich war auch kein Fan von lustigen Filmen und ich habe nicht verstanden, warum die Menschen über die armen, herum irrenden Gestalten lachen.

In der Schauspielschule habe ich erstmal bei Goldonis Krach in Chiozza zugeschaut, wie die Klasse vor uns agierte. Dann bekam ich eine Rolle in dem Florentinerhut von Labiche, dann in Huit femmes von Robert Thomas. Ich durfte in zwei Rollen, der des Dienstmädchens und in der geheimnisvollen Verwandten, schon im Jahr 1984 brillieren. Die zwei berühmten Damen wurden später in der Verfilmung 8 Frauen unter der Regie von Francois Ozon im Jahr 2002 von Emmanuelle Béart und Fanny Ardant gespielt. Ich durfte also für mich schon acht Jahre zuvor erproben, wie man diese Rollen darstellen soll. Komödie stand auf dem Plan und ich wurde dafür ausgebildet!

Ich muss sagen, dass es sich wunderbar anfühlte, als ich zum ersten Mal entdeckte, wie ich das Publikum zum Lachen bringen kann. Was für ein Hochgefühl! Ich stehe bitter ernst, verwickelt in unmögliche Situationen, behaupte in der Not auf der Bühne mich selbst – und sie lachen über mich vom Herzen. Großartig fühlte sich das an.

Dann kam der nächster Schritt: Wie kann ich ein Stück inszenieren, das lustig sein soll? Spielen geht ja noch – aber wie schaffe ich es in einer Inszenierung, dass das Publikum lacht? Eine Sache hat mir am meisten geholfen. Ich habe es immer ernst genommen, worum es eigentlich ging, bitter ernst. Natürlich war die in der Schauspielschule gelernte Technik wichtig: wo und warum man Pause hält, wie lange es dauern soll such umzudrehen. Es gibt eiserne Regeln. Es war auch wunderbar, die Welt mit Ironie zu betrachten, gleichzeitig von Innen und von außen. Die Schwäche annehmen und zur Schau stellen, so als ob man gleichzeitig es tun und darüber nachdenken würde. Verfremdung herstellen und dabei die Welt genau beobachten. Da spielen die Menschen ein ernsthaftes Spiel und plötzlich erscheint eine andere Welt, die das Ganze in Frage stellt und lächerlich macht. Ich suchte die Komödie und ich fand sie. Die Not war groß und später bei der Aufführung das Lachen auch. Ein Blick in dem richtigen Moment, eine kontrapunktierte Melodie, eine Geste, die sitzt, eine Bewegung auf der richtigen Art, ein Atemholen, ein Requisit, eine merkwürdige Frisur etc. Wenn ich Komödie inszeniere, sage ich immer zu den Spielenden: ihr müsst MICH zum Lachen bringen, wenn ihr es schafft, ihr seid wirklich gut. Ich kenne halt das Stück, ich setze die Pointe, ich weiß, wie und was funktionieren muss. Und wenn sie dann so weit sind, dass sie sogar das übertrumpfen und mich überraschen, dann wird es richtig klasse. Also: Technik ist gut, aber das Lebendige noch besser.

Improvisation
Improvisation ist wunderbar, aber ein Stück endgültig bei Laien nur auf Improvisation basierend zu inszenieren, ist oft zu viel verlangt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine feine Mischung manchmal gut tut, also Freiraum und durchinszenierte Szenen, wobei das richtige Maß wichtig ist. Jeder weiß: Am Schwierigsten ist es, eine gute Improvisation zu wiederholen. Klappt kaum. Deswegen muss man bei Improvisation darauf achten: Ein gut gesetzter, starker Rahmen und steigende Not. Mut antrainieren, Lust und Offenheit bewahren. Manche Teilnehmer finden Improvisation unerträglich, weil sie in der Freiheit sich überfordert fühlen. Wir müssen das akzeptieren, kommen dann aus der anderen Ecke und geben klare Vorgaben, sogar festen Text. Die Balance zwischen Improvisation und fester Inszenierung zu finden, ist sehr wichtig bei der Komödie.

Charakterkomik
Es ist sehr dankbar und bei unseren Teilnehmern oft gut umsetzbar, gute Charaktere zu bauen. Bewegung, aber auch Kostüme und Schminke sind großartige Hilfsmittel. Das Wesentliche aber ist, nie lustig sein zu wollen. Dann ist es leider sofort vorbei.

Situationskomik
Sehr wichtig und oft verlangt von unseren Teilnehmern: Erfahrung und guter Umgang mit dem Metier von Seiten der Leitung. Woher komme ich, wohin gehe ich, was passiert mit mir auf der Bühne, wem begegne ich. Diese Grundgesetze sind bei der Komödie fundamental. Die Absichten der Figuren kommen entweder blitzschnell oder verlangsamt vor. Achtsamkeit beim Lesen, das Stück richtig durchdringen ist das A und O. Die Situationen im Raum durcharbeiten, Begegnungen energetisch füllen und überlegen, was ist die Atmosphäre, was ist der Status, und was ist die Dramaturgie. Es ist weniger wichtig, wie es ausgearbeitet wird. Manchmal reichen Absicht und die Mühe, eine Szene richtig füllen zu wollen. Wir müssen einen Sog herstellen und dürfen deswegen nur die ganz Großen nehmen, die für uns selbst einen Sog ausüben.

Autoren
Das Impulsthema ist klassische Komödie. Dazu zählen die Antike, wie Aristophanes, Shakespeare, Moliere, Goldoni, Gogol, die deutschen Komödien, wie der Zerbrochene Krug, Goethes Stella, Büchners Leonce und Lena usw. Die Franzosen, wie Labiche, oder Feydeau sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie schwer sind. Die beliebten Komiker, wie Mister Bean, Monty Python, Loriot etc. sind nicht geeignet. Nicht weil sie nicht gut sind. Sie sind großartig! Sie sind für unsere Zwecke nicht hilfreich. Sie stehen zu stark für sich. Man kann sie nicht leicht auf sich selbst übertragen. Die Gefahr der Nachahmung besteht. Wir brauchen wieder die entfernten klassischen Stoffe um die Teilnehmenden erst einmal ganz weit weg von sich selbst zu bringen. Deswegen bitte jede Stückwahl mit uns abstimmen – damit wir gemeinsamen Spaß haben werden.

Ich wünsche unseren Teilnehmenden eine kraftvolle Reise mit euch. Je ernster sie in die Tragik einsteigen, desto lustiger werden sie. Dann erleben sie eine kathartische Befreiung.

Beáta Nagy

5. Praktische Aspekte

Jeder kann bestätigen: Nichts ist so schwer wie die Leichtigkeit. Was am Ende als gelöst-heitere Symbiose mit dem Publikum erfreut, ist das Ergebnis harter Arbeit. Komödie ist vor allem Technik. Komödien-Spieler verstehen ihren Beruf handwerklich. Es gab Zeiten, in denen sie in die Lehre gingen. Familiendynastien, die eine bestimmte Comedia-Figur weiter gaben, mit Tricks und Geheimnissen, wie das Geheimwissen eines Handwerksbetriebes.

Technik ist körperlich, konkret. Sie ist überprüf- und nachvollziehbar. Wenn wir uns mit Komödienspielweisen beschäftigen, gehen wir von außen nach innen. Das kommt nach meiner Erfahrung Laien entgegen, ist spielerischer, lustvoller. Komödie beobachtet, ahmt nach. Wie bei Aristophanes spielt sie mit Status – im Großen wie im Kleinen. Komödie löst unkonventionell Probleme.

All diese Aspekte sind Impulse für den Transfer, für den Dialog von Theater- und Wirklichkeitserfahrungen. Es soll im Folgenden auf vier praktische Aspekte der Komödie eingegangen werden. Sie waren jeweils das Thema eines Workshops beim letzten Groß-Team im November 2017 in Witten.

  • Workshop 1: Improvisation
    Sie ist ein Grundelement der Komödie. Nicht nur spieltechnisch – zahlreiche Komödien fordern entweder ganz oder zeitweise das improvisierte Spiel – auch inhaltlich müssen die Helden stets mit ungeplanten Situationen klar kommen. Als Lerneffekt für das echte Leben liegt der Wert der Improvisation auf der Hand.
  • Workshop 2: Philosophie
    Die Komödie blickt auf die konkrete Wirklichkeit, hinter der sich die großen Fragen verbergen. Ein alltägliches Missverständnis weist auf ein Menschheitsproblem hin. Sie spielt mit der Wirklichkeit, dreht die Situation um, vergrößert und verzerrt sie, führt ad absurdum. Sie ist darin nicht nur frei im Körper – sie ist frei im Denken, kennt keine Tabus und Gedankenverbote.
  • Workshop 3: Figur/Comedia
    Das Thema der Bühne ist der Mensch und seine Unvollkommenheit. Sind es in der Tragödie die großen Themen von Ohnmacht und Schicksal, berichtet die Komödie vom echten Leben mit seinen Verstrickungen. Dazu beobachtet sie die Witzfigur Mensch sehr genau – der es immer wieder versucht, und nie zu lernen scheint.
  • Workshop 4: Form
    Komödie ist ein sehr künstliches Produkt. Mit Realismus kommt man (jenseits von absolutem Könnertum) nicht weit. Die Spieltechnik fordert eine artifizielle Form, erstellt von Körperbeherrschung, Brüchen und Impulsen in hoher Präzision.

Martin Kreidt

6. Workshops

Improvisation
Workshop Leitung: Dorit Remmert & Matthias Hecht

Improvisation auf der Bühne heißt, sich mit wachem Wahrnehmungs – und Beobachtungssinn auf Impulse einzulassen, die einem entgegenkommen. Diese Impulse können sowohl von anderen Darstellern als auch vom Bühnenraum selber aufgenommen werden. Beim Improvisieren lässt man einen Impuls eine Resonanz erzeugen – zunächst völlig ergebnisoffen. Man tritt in eine Kommunikation bzw. einen Dialog mit der Umwelt (z. B. Mensch, Raum, Gegenstand, Musik) ein, nimmt den Impuls als Spielangebot an, verwandelt ihn und gibt ihn zurück. Das funktioniert nur dann, wenn man bereit dazu ist, sich in einen leeren Raum zu begeben, ohne auf Eingeübtes oder Vorgegebenes zurückzugreifen. Befindet man sich in dieser Leere und lässt zu, dass aufgenommene Impulse unvoreingenommen Resonanz erzeugen, dann ist man oftmals von sich selber überrascht.

Habe ich das jetzt wirklich gesagt? Wie komme ich denn auf so eine Idee? Dies führt zu urkomischen Situationen, in denen Darsteller über sich selber herzhaft lachen können. Die Improvisation erzeugt immer wieder überraschende, ungeplante Momente, auch in Situationen des Scheiterns, die einen komödiantischen Charakter haben, der auch für das Publikum äußerst amüsant ist.

Keith Johnstone, bedeutender Theaterexperte für die Sparte Improvisation sagt: Wenn du versuchst die Geschichte zu kontrollieren, dann ruinierst du sie. Ganz klar, wo Kontrolle und Festhalten an Bestehendem vorherrschen, da fällt das Aufnehmen von Impulsen des Spielpartners schwer und es entsteht kein Dialog, sondern ein Kräftemessen und schlussendlich Frust, weil man sich ineinander verhakt hat. Gelingt es aber den Impuls als Spielangebot wahrzunehmen, ihn aufzugreifen, zu verwandeln und zurückzugeben, dann können zauberhafte noch nie dagewesene Geschichten entstehen, ausschließlich aufgrund des guten Zusammenspiels.

Als Grundprinzipien der Improvisation kann man folgende Punkte benennen:

  • Wahrnehmungs- und Beobachtungsgabe
  • Konzentration und Reaktion/Spontanität, nicht Vorausplanen!
  • Angebote annehmen, JA sagen!
  • Routinen unterbrechen um Handlung und Geschichte ein dramatische Wendung zu geben

Zu diesen verschiedenen Bereichen gibt es unendlich viele Übungen, die sowohl für Laien als auch Fortgeschrittene wertvoll sind. Zu finden z.B. hier: https://improwiki.com/de Sehr empfehlenswert sind die beiden Bücher von Keith Johnstone „Improvisation und Theater“, in dem er die Prinzipien eher theoretisch erklärt und „Theaterspiele“, wo es etwas praktischer zugeht.

Diese Grundprinzipien zu erarbeiten und regelmäßig zu trainieren ist absolut notwendig, besonders in der Arbeit mit Anfängern. Ohne diese Grundlagen wird es keine gelungenen Improvisationen geben und der Spaß am Hinausgehen ins Unbekannte wird den Teilnehmenden vergehen, weil sie nicht gut vorbereitet sind. Man kann das aber im täglichen Training nach und nach aufbauen, anfangs fokussiert auf einzelne Bereiche, danach komplexer werdend, bis am Ende eine szenische Improvisation im leeren Raum möglich ist.

Beherzigt man die o. g. Grundprinzipien im Alltag, so ist man in fast jeder Situation handlungs- und entscheidungsfähig. In der Teamsitzung, im Unterricht oder im Bewerbungsgespräch. Mit einer geistigen und körperlichen Wachheit, ohne vorformulierte Argumente im Hinterkopf, auf das zu reagieren was mir begegnet und gleichzeitig dazu in der Lage zu sein im richtigen Augenblick einen neuen Impuls zu setzen, ermöglicht gelungene Kommunikation und Interaktion. Ich wage zu behaupten, das Improvisationsfähigkeit unabdingbar ist für die Arbeit in JobAct® Projekten, die vor Unvorhersehbarem ja oft nur so strotzen. Dabei liegt die Herausforderung in der Balance zwischen gesetzten Strukturen und individuellem Ausgestalten. Feste Strukturen geben den Teilnehmenden Halt und Orientierung und das Erfahren der individuellen Gestaltungsfähigkeit – die die Improvisation ermöglicht – gibt ihnen Mut und Freude damit in die Welt hinauszugehen.

Dorit Remmert

Philosophie
Workshop Leitung: Hans-Ulrich Ender

Theater kann aufzeigen, spiegeln und anstoßen. Es kann dabei auf individuelle Probleme, zwischenmenschliche Beziehungen oder Gesellschaftsthemen zielen. Die Komödie macht dies im Besonderen. Denn sie blickt auf die Wirklichkeit und kann damit große Fragen behandeln. Stellen wir einmal in den Raum, dass sich diese großen Fragen mit den Mitteln der Komödie einfacher und viel gezielter behandeln lassen. Besonders in unserem Arbeitsfeld, im Umgang mit Laien, lassen sich viele Vorteile erkennen. Warum ist das so?

In der Komödie können wir die Wirklichkeiten verdrehen, vergrößern, verkleinern oder lächerlich machen. Über ihre Form erlaubt sie Körpern frei zu agieren und dadurch auch freier zu denken, beziehungsweise Denkansätze zu behandeln. Verbote finden wir keine.

Diese Grundlage bietet unseren TeilnehmerInnen sich in einer entspannten Atmosphäre mit möglicherweise komplexen Themen auseinander zu setzen. Hilfreich dabei ist, dass „nichtintellektuelle“ Personenkreise, wie man viele der TeilnehmerInnen von JobAct® erlebt, häufig viel körperlicher sind. Und genau das brauchen wir in der Komödie. Wir müssen uns bewegen, Formen finden. In unserem Workshop viel dazu immer wieder der Satz: „Traue keinem Gedanken, der dir im Sitzen kommt.“1 Wir sitzen also nicht im Stuhlkreis und reden, wir bewegen uns. Hierzu direkt noch ein zweites Zitat: „Nicht du tust etwas, sondern bringe den Körper in eine Lage, und es geschieht von ganz allein.“2 Es kann dann durch das Spiel und den Themen darin, eine Rückführung stattfinden, hin zur Steigerung des Intellekts.

Unser Impulsthema bringt uns außerdem dazu miteinander unsere kulturellen Hintergründe zu reflektieren. Insbesondere bei JobAct® Sprachkultur ist dies ein interessanter Nebeneffekt. Wir können nur gemeinsam eine Komödie erarbeiten, wenn wir wissen worüber der Spielpartner lacht. Was für einen Humor zeichnet welche Kultur aus? Können sich unterschiedliche Kulturen über Humor näher kommen? Worüber lacht das Publikum hier in Deutschland?
Und da ist es: Das Publikum. Zuschauer sind bei der Betrachtung von Komödien mehr dazu gezwungen zu reagieren. Es ist eine spielerische Herausforderung, mit einem lachenden Publikum umzugehen. Nicht mitzulachen. Die lange „Störung“ des Spielflusses auszuhalten.
Und wenn es dann nicht lacht? Hat man was falsch gemacht? Die Beschäftigung damit, wann und wie es regiert lässt uns in tiefere kulturelle und soziale Fragestellungen eintauchen.

Die Komödie lässt uns dabei wunderbare Freiheiten. Die Gedanken sind frei und verlaufen kann man sich nur wenn man weiß wo man hin will.

Ronja Gerlach

Figur/Comedia
Workshop Leitung: Alberto Fortuzzi & Mark Kewitsch

Einführung/Kennenlernen
In der Commedia dell'Arte bewegen sich die Figuren wie sie denken (meiner Meinung nach kann man die Behauptung auf jeden Mensch erweitern). In Folge dessen kann man behaupten, dass die erste Inspirationsquelle der Commedia/Komödie das Leben selbst ist.
Die „Übertreiben“ – Eigenschaft, die mit Recht mit der Commedia/Komödie verbunden ist - findet in dem Leben ihre Natürlichkeit. Mit dem „natürlichen Übertreiben“ ermöglichen wir den Zuschauer den Mechanismus der tiefen inneren Erkennung der Typen/Archetypen: Charlie Chaplin und Mister Bean (Olsenbande) leben heute in der Vorstellungswelt der Zuschauer, so wie damals Arlecchino, Pantalone, Dottore, Pierrot, etc. Das Erkennen ist die Tür für das Lachen: „Sie glauben (die Zuschauer), dass sie über uns lachen, in dem sie eigentlich über sich selbst lachen“ Karl Valentin, von mir auswendig zitiert. Dieses Mechanismus wurde allerdings auch in den Zeichentrickfilmen angewendet, Bsp: Homer Simpson, Goofy, Mickey Mouse.

Die Figurenentwicklung ist vor der Stückentwicklung.

Figurenentwicklung (Beispiel: Pantalone und Zanni)
Pantalone: das alte Arschloch, der Geizige. Wir verbinden Bewegung und Denken: jede Komödie Figur besitzt eine innere Besessenheit (wie jeder Mensch?), bei Pantalone ist es z. B. das Geld.

Sobald der Darsteller den – Achtung, laut gesprochenen – inneren Monolog in Fluss bringen kann, kann er seine Figur des Pantalone präsentieren, auf Fragen und Input antworten und reagieren. Bemerkung: diese Übung funktioniert sowohl mit Profis als auch mit Anfängern.

Zanni: der Dummkopf, der Harlekin, der nichts versteht (oder so tut als ob).
IMPROÜBUNG „Die Suche nach der inneren Dummheit“ – die absolute Freiheit!
Noch mal wird die innige tiefe Verbundenheit zwischen Bewegung und Denken geübt. Darstellerisch ist die Aufgabe etwas schwieriger: wie verzichte ich auf meine Intelligenz, wie kann ich ohne Hemmungen meine natürliche Dummheit ausspielen? Jeder TN improvisiert seine Figur des Zanni im Kreis der anderen, erzählt einen Witz. Einen Witz zu erzählen als Übung bringt mit sich die Möglichkeit des Scheiterns: also den gescheiterten Mensch als zentrale Figur der Commedia/Komödie. Der Mensch rettet sich vom Scheitern durch sein Instinkt, seine Lebensfreude, Überlebenskunst (noch mal Charlie Chaplin).

Szenische Entwicklung (Pantalone und Zanni begegnen sich)
Status-Spielmöglichkeiten: Pantalone hat Geld und Macht, Zanni hat nichts und versteht nichts (oder so tut als ob). Autoritäten werden in Frage gestellt, ähnlich wie beim Fasching heute. Die Welt kippt um und landet im Chaos. Aber warum? In der Commedia dell'Arte war die Liebe/Eros – hemmungslos das erste Mal auf der Bühne dargestellt, eine der größten kulturellen Revolution aller Zeiten in Europa – die Kraft, die die Welt ins Chaos stürzte. Oder, genauer gesagt, die Verliebtheit. Das ist auch der Grund warum in der Commedia dell'Arte Figuren mit und ohne Maske gibt. Die Figuren ohne Maske erzählen die Gefühle, dafür braucht man den Gesichtsausdruck. Die Figuren mit Maske erzählen die Triebe, das „unten rum“, die dunkle (lustige) Seite der Verliebtheit. Der Vermehrungsdrang verbunden mit den traditionellen europäischen Fruchtbarkeitsritualen.

Leitfaden für Improarbeit mit Commedia Figuren:
IMPRO-ÜBUNG je 2 TN sind Pantalone und Zanni

  •  Bei dem Auftritt die Figuren klar machen: Haltung, Stimme, Besessenheit...
  •  Wahrnehmung der anderen Figur.
  •  Dann ist Zeit für ein erstes Spielangebot: Spielangebote sollen immer angenommen werden („Sag Ja“). Außerdem ist es so viel lustiger. Statusspiele entwickeln sich vom alleine.

Die erste Idee sollte durchgezogen werden. Immer und gnadenlos. Nur so öffnen die Darsteller die Tür des Absurden. Schon eine zweite Idee kann in eine „Sackgasse“ führen. Alles auf der Bühne geschieht/passiert den Figuren, sie denken nicht, sind im Leben.

Stückentwicklung (Pantalone und Zanni begegnen sich und haben einen Text aus Gogols „Der Revisor“)
IMPRO-ÜBUNG Italienische Probe (nach Moliere): alles wird nur angedeutet. Dadurch bleiben Die Darsteller wach, und können neue Ideen umsetzen. Die Szene wird vorher besprochen und es werden Verabredungen getroffen. Danach wird die Szene durchgespielt. Diesen Vorgang nach Feedback (keine Regieanweisungen! Commedia ist ein Schauspielertheater) wiederholen.

Die Szenen werden zäh und langweilig wegen der Verabredungen, daher den Spaß am Spiel in uns lebendig halten – denken statt spielen ist tödlich! Die Kunst der Commedia ist das Spielen als würde man die Szene für das erste Mal improvisieren. Eine höllische filigrane Arbeit.

Prinzipien-Transfer
Klarheit: die TN brauchen eine klare Vorstellung der einzelnen Schritte
Sicherheit: über Strukturen, Wiederholungen und Rituale
„Sag Ja“: gegenseitige Annahme einer Idee, eines Impulses.
Beobachtung: Potenziale erkennen und nutzen (in der Impro)
Aktion: erkannte Potenziale weiterentwickeln
Rahmen: Grenzen setzen (Auf und Abgänge)
Vertrauen: Lösungen werden gefunden auch in Stressmomenten (einer Impro)
Spaß: ist Motivation

Alberto Fortuzzi

Form
Workshop Leitung: Jürgen Fritz und Martin Kreidt

Leben ist Inhalt, Gott ist Form. Form ist Körper. In der Komödie auf jeden Fall. Was bedeutet das? Bewusstsein geht in Körper, wird Körper. Komödie ist darin näher am Tanz als beim realistisch-psychologischen Theater.

Es gibt zwei verschiedene Bewegungsqualitäten. Die Fließende und die Abrupte. Erstere beschreibt einen Bewegungsbogen: Ich gehe durch den Raum, sitze am Rechner und tippe. Es gibt eine körperliche Spannungsarchitektur, Dynamik, Rhythmus. Steuerungen, Verlagerungen, Entwicklungen (Steigerungen) sind möglich. Ich gehe schneller durch den Raum, mein Kopf sinkt langsam auf die Tastatur.

Der Kern des Abrupten ist der Impuls, die sofortige vollständige Veränderung der (körperlichen) Situation. Auch als Bruch bekannt, geschätzt und gefürchtet. Ich gehe durch den Raum, sehe etwas – und bleibe ganz plötzlich stehen. Ich tippe am Rechner und habe auf ein Mal einen Einfall. Spannung, Dynamik, Haltung, Rhythmus ändern sich sprunghaft und ganzkörperlich. Der Impuls/Bruch ist ein Sprung ins Ungewisse.

Darauf kann man ein zweites Raster legen: die der Richtungen der theatralischen Zeichen. Es gibt

  • Innere Zeichen: Auf mich selbst bezogene Emotionen, Zustände, Haltungen
  • Soziale Zeichen: Auf meinen Mitspieler bezogene Emotionen, Zustände, Haltungen
  • Räumliche Zeichen: Auf den Raum bezogene Emotionen, Zustände, Haltungen
  • Interaktive: Auf das Publikum bezogene Emotionen, Zustände, Haltungen

Die fließende Bewegung kann zum Beispiel eine Entwicklung vom Inneren zum Sozialen beschreiben. Die Abrupte tut dies sofort und Unmittelbar. Beispiel: Ich bin in Gedanken versunken (innere Haltung), jemand betritt den Raum (räumlich), ich nehme Kontakt mit dem Publikum auf (interaktiv), weil derjenige vielleicht der Liebhaber meiner Frau ist, was alle wissen, dann reagiere ich auf ihn (sozial).

Wenn ich diesen Vorgang ganzkörperlich präzise spiele, wird er klar. Das Publikum sieht mich, wie ich jemanden sehe. Es kann meine Schritte nachvollziehen, die, wie auf einer Perlenkette aufgereiht, scharf voneinander getrennt sind und alle nacheinander erfolgen. Nur so bekommen Alltagsvorgänge, von denen die Komödie in der Regel handelt, eine Bühnensprache die auch auf räumliche Distanz verstanden werden kann.

Es sind gerade die harten Stopps, die das scheinbar fließende Spiel der Komödie ausmachen. Beispiel: A agiert. Nachdem er fertig ist (nicht vorher!) reagiert B mit einem fließenden sozialen Zeichen, indem er langsam zurück weicht. Dann der Stopp als abruptes Zeichen. Er nährt sich dem Publikum, interaktives Zeichen, „ist das wahr, was ich gerade gesehen/gehört habe?“. Wieder ein Stopp, jetzt die Reaktion mit einem inneren Zeichen: er lacht sich tot.

Das technische Üben der beiden beschriebenen Bewegungsraster ist ein ebenso weites wie ergiebiges Feld. Es verlagert vollständig die Aufmerksamkeit von dem, was ich spiele (Inhalt) auf das, wie ich spiele (Form). Die Beschäftigung damit gleicht zunächst einer Konzentrations- und Disziplinierungsmaßnahme. Später werden wir sehen, dass eine die Technik uns physisch macht, und uns von Gedankensprache, Eigenbeurteilung und Inhaltsdruck erlöst. Wir beginnen, frei zu spielen.

Martin Kreidt

7. Impulse, Anmerkungen und Fragen

Wie immer stehen wir für jedes Gespräch zur Verfügung, ob in Form von Beratung in Sachen Stücksuche und -auswahl, Spieltechnik oder Heranführen einer Gruppe an das Thema Komödie.