2013-2015 – Griechenland

Impulsthema 2013/14

Griechenland –
Die Wiege Europas

Inhalt

  1. Der Aufbruch
  2. Theorie > die Anschauung der Kunst
  3. Die Dichter
  4. Die Zeitalter
  5. Die Interpretation
  6. Die Mythologie
  7. Zeus
  8. Die großen Linien:
    8.1. Der Raub der Europa, Dionysos, Ödipus, Antigone
    8.2. Troja, Agamemnon, Helena, Odysseu

    Praxis > die Ausübung der Kunst:
  9. Das griechische Theater
    9.1. Die Sprache
    9.2. Stückauswahl
    9.3. Chorleitung
    9.4. Individualität und Gruppe
    9.5. Choreographie und Raum
    9.6. Choreographie und Zeit
    9.7. Inhaltliche Ausrichtung des Chor
    9.8. Übersetzung

Nachwort

1. Der Aufbruch

Impulsthema Griechenland!

Was geht uns das alte Griechenland an?
Können wir in eine längst vergangene Zeit einsteigen?
Wie können wir eine Epoche beurteilen, in der anders gedacht, anders gefühlt und anders gehandelt wurde als heute?
Und was bringt uns das Ganze?

Bis in die 60er Jahre war die griechische, klassische Kultur noch in allen Bildungsformen Grundlage und Ideal. Die Menschen kannten die Sagen, ihre Helden und Bezüge, die Dichtungen und Dramen. Mit den Studentenrevolten wurde das ganze alte Bildungssystem als dekadent, nicht mehr zukunftsfähig über Bord geworfen. Man fand sich darin nicht mehr mit den eigenen, brennenden Fragen nach der anstehenden Gesellschaftsform.

Das war sicher ein richtiges Urteil. Diese Formen waren sentimental und ohne Kraft, ein Nachhängen an paradiesische Zustände, in denen alles schön und gut war. „Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei, Medizin und leider auch Theologie durchaus studiert mit heißem Bemühen. Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“ Mit diesen Worten hat schon Goethe im Faust den Nullpunkt charakterisiert: Keine Zukunft, no future – auf diesem Weg! Ein Vergangenheitsbezug, der nicht in starke Entwicklung führt, mit dem ich mich nicht existentiell verbinden kann, ist schädlich, giftig, lähmt alle Initiative. Das gilt für den persönlichen, biographischen Rahmen wie für die Biographie der Menschheit, die Geschichte. Jeder kennt dieses Erlebnis aus ödem Geschichtsunterricht und unfruchtbarer Vergangenheitsanalyse des eigenen Lebens.

Ohne einen lebendigen Vergangenheitsbezug verliere ich jedoch meine Identität, bei Gedächnisverlust bin ich ohne Selbstgefühl.

Deshalb das Wagnis, sich an vergangene Formen der Menschheit heranzutrauen, in denen viel Zukünftiges von Künstlern und Wissenschaftlern tief geschaut wurde. Es sind Antworten für die brennenden Fragen unserer Zeit darin zu finden! Das Schauspiel ist das ideale Mittel dafür, diese frei zu legen, da es die existentielle Verbindung des Gefühls mit der Biographie, Geschichte, aus seiner eigenen Kraft herstellen kann. Das ist das Prinzip in den JobAct Projekten, kraftvolle Verbindung mit der Biographie, um Initiative für zukünftige Entwicklung möglich zu machen. In diesem Sinne möge diese Schrift zum fruchtbaren Dialog führen!

2. Theorie > die Anschauung der Kunst

Das Theater von Athen ist von gleißender Morgensonne erfüllt.
Langsam füllen sich die Sitzreihen. Die Luft zittert schon in früher Stunde von Helios gleißenden Fluten. Dann ist es so weit. Zwanzigtausend Zuschauer erwarten voller Spannung den Beginn der Dionysien, drei Tage im Bann der Bühne,  drei Dramen jeden Tag und ein Satyrspiel zum Abschluss, um das Publikum aus dem Entsetzen im Lachen zu lösen. Der Lärm von Tausenden im angeregten Gespräch wirbelt in die Höhe.

Dann,- das Dröhnen eines Hornes bringt das Publikum augenblicklich zum Schweigen. Nun dringt vom Orchester das sanfte Klingen der Leier empor und unter atemlosen Schweigen der Massen betreten übergroße, verhüllte Gestalten in majestätisch feierlichem Schritt die Bühne, verharren dann einen Augenblick in überspannender Stille und brechen in den gewaltigen Raum mit dem Ton eines herannahenden Orkans in die Eröffnung. Schaudernd ahnen die Tausende das herannahende Unheil, wie ein herabsausendes Beil, dem keine Hand Einhalt bieten kann. Jetzt formen sich die Tänzer auf dem Chorplatz zur Phalanx, der Protagonist betritt das Szenario, in der glühenden Hitze meint jeder vor der geahnten Katastrophe sein Herz in Eis verwandelt. Nun gibt es keinen Halt mehr.

Das Drama nimmt alle in einen Taumel, in Kaskaden von immer neuen Schreien des Entsetzens, scharenweise brechen die Ergriffenen auf den Rängen tränenüberströmt zusammen, sich windend im Aufdämmern der eigenen Schicksalsspur, sich daraus emporkämpfend und wieder hineingezogen in das namenlose Grauen. In die Ekstase der schmerzgepeitschten Seele bricht in den Kranz blitzdurchzuckter, düstergrüner Wolkenberge der Strahl Apollons im milden Glanz der Einsicht. ---  Es ist vollbracht. Die Gestalten aus der Unterwelt haben das Feld verlassen. Schweigend steht ein jeder vor sich selber. Wenige beherzte wenden den Blick erwartungsvoll zu einer Gestalt, die etwas abseits in tiefem Sinnen versunken sitzt. Dann erhebt er, Aischylos, den Blick - über seine Tat und der Musen Wirkung.

3. Die Dichter

Aischylos, der Sohn des Euphorion, entstammte einem alten Adelsgeschlecht. Als junger Mann erlebte er mit dem Sturz der Söhne des Peisistratos das Ende der Tyrannis und die demokratischen Reformen des Kleisthenes von Athen. Er begeisterte sich früh für die Dramen von Choirilos und Pratinas und die Dichtkunst von Agathokles und Apollodoros. Der Sage nach wurde er durch Dionysos selbst im Traum zum Dichter geweiht. An seinen frühen Stücken nahm er noch selbst als Schauspieler teil. Im Alter von 25 Jahren bewarb er sich erstmals um den Siegespreis des Agons der Dionysien, des Dichterwettbewerbs der Stadt Athen, in dem er jedoch unterlag.

Als Soldat nahm er 490 v. Chr. für Athen an der Schlacht bei Marathon gegen die Perser teil, in der sein Bruder Kynaigeiros getötet wurde. Nach der Zerstörung Athens im Jahre 480 v. Chr. war er auf einem der griechischen Kriegsschiffe an der Seeschlacht von Salamis beteiligt.

Im Jahr 472 v. Chr. gewann er den Siegespreis mit der Uraufführung des Dramas „Die Perser“, bei dem es sich um eine dramatisierte Fassung seiner Kriegserfahrungen handelt. Im Wettstreit mit Sophokles unterlag er im Jahre 468 v. Chr., doch konnte er bei den Dionysien insgesamt 13 Siege erringen.

Von seiner letzten Sizilienreise kehrte er nicht mehr zurück. Er starb 456 v. Chr. Im Jahre 406 v. Chr. macht Aristophanes in seiner Komödie „Die Frösche“ Aischylos im Wettstreit mit Euripides zum Vertreter der altehrwürdigen Zeit und Vorbild des tragischen Dichters.

Seine Reduzierung der Rolle des Chors und die Einführung des zweiten Schauspielers revolutionierten durch den dadurch ermöglichten Dialog das griechische Theater. Aber auch durch Sprache, Stil und die Wahl des Mythos als Thema der griechischen Tragödie beeinflusste er seine Nachwelt maßgeblich. Seine Charaktere sind keine gewöhnlichen Menschen aus dem Volk, sondern ragen aus ihnen durch ihre übermenschliche Leidenschaft und Charakterstärke, aber auch die kraftvolle, schroffe, erhabene und bilderreiche Sprache heraus.

Sophokles gilt als der größte der antiken griechischen Tragödiendichter. Seine erhaltenen Stücke, vor allem "Antigone" oder "Ödipus", sind auf den Bühnen der ganzen Welt zu sehen. Sophokles wurde 495 v. Chr. in Kolonos bei Athen als Sohn des reichen Sophillos geboren. Er erhielt eine umfassende Ausbildung, erlernte das Harfenspiel und führte bei der Siegesfeier von Salamis als Vorsänger den Knabenchor an. Zeit seines Lebens blieb er Athen verbunden, wo er eine Reihe staatlicher Ämter innehatte. Großen Beitrag leistete er für die Entwicklung der griechischen Komödie. Gegenüber den Dramen des Aischylos führte Sophokles einige wichtige Neuerungen in die Tragödie ein. So setzte er an die Stelle der trilogischen Form selbständige und in sich abgeschlossene Einzeldramen. Zudem führte er einen dritten Schauspieler ein und ermöglichte damit eine komplexere Handlung. Schließlich erhöhte er die Zahl der Chormitglieder auf 15 und verwendete als erster Dramatiker Kulissen. Sophokles war bereits zu Lebzeiten berühmt. Im Jahre 406 v. Chr. starb er in Kolonos.

Euripides (griech. Εὐριπίδης) (* 480 v. Chr. oder 485/484 v. Chr. in Salamis; † 406 v. Chr. in Pella; begraben in Makedonien)
Euripides ist nach Aischylos und Sophokles der jüngste der drei großen griechischen Tragödiendichter. Von seinen etwa 90 Tragödien sind 18 erhalten. Außerdem ist eins seiner Satyrspiele überliefert. Mit seinen Stücken, vor allem Medea, Iphigenie, Elektra und Die Bakchen, ist Euripides einer der am meisten gespielten Dramatiker der Weltliteratur.

Vom Leben des Euripides ist wenig Sicheres überliefert; wichtige Daten ergeben sich vor allem durch seine Teilnahme an den öffentlichen Tragödienwettbewerben. Euripides führte zwischen 455 und 408 v. Chr. regelmäßig im tragischen Agon zu Athen Tetralogien auf (eine Tragödien-Trilogie und ein Satyrspiel eher grotesken Charakters). Das erste aufgeführte Stück hieß Die Peliaden (verschollen), mit welchem Euripides den dritten Platz belegte. Sein erster Sieg fällt in das Jahr 441 v. Chr. Im Jahre 428 v. Chr. siegte er mit dem erhalten gebliebenen „Der bekränzte Hippolytos“, der die Bearbeitung eines einige Jahre vorher aufgeführten und heftig kritisierten anderen Hippolytos-Stückes war. Insgesamt siegte er zu Lebzeiten viermal und mit einer postum aufgeführten Tetralogie, zu welcher das berühmte Stück „Die Bakchen gehört“.

Kurz nach den Dionysien 408 v. Chr. folgte Euripides der Einladung des makedonischen Königs Archelaos I., in dessen Hauptstadt Pella er zu Frühjahrsbeginn 406 v. Chr. verstarb; der Sage nach wurde er von wilden Hunden zerrissen. Diese Sage ist eher sinnbildlich zu verstehen als Umschreibung seines Werkes, in dem die dionysisch-eruptive Ekstase eine zentrale Rolle spielt.

Bald schon nach seinem Tod erkannte man die überragende Bedeutung Euripides' an, was sich u. a. darin niederschlug, dass er während der gesamten Antike der am häufigsten aufgeführte und gelesene Tragiker war. Von besonderer Bedeutung ist sein Einfluss auf die Neue Komödie, insbesondere dessen Hauptvertreter Menander.

Von den Großmeistern der athenischen Tragödie war Euripides der problematischste und modernste, was ihm Ablehnung und Feindschaft einbrachte. Die Haltung der Gesellschaft seiner Zeit charakterisierte Euripides mit folgendem Ausspruch: „Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.“

(Quelle: Wikipedia)

Die Denker

  • Offenbar hat ein jeglicher von uns Menschen sich selbst als unteilbar- eine Person zu bezeichnen.
  • Die Erziehung durch Gymnastik und Dichtungsprechen, sie ist tatsächlich die am frühesten und einschneidensten den Kindern zu Teil werdende Ausbildung ihres Menschtums. (Platon, der Staat)
  • „Auch ich bin der Meinung, dass das Menschsein hierin besteht, nämlich dass man Kunst nicht nur will, sondern das Können hat, um durchzustoßen. (Sokrates, aus Memnon)
  • Es ist ja die bestehende Meinung, dass die musische Kunst, das Dichtungssprechen, wie auch die zu ihr hinzugerechnete Kunst der sichtbaren Darstellung die Aufgabe habe, das Menschsein im Menschen zur Entfaltung zu bringen. (Aristoteles, Politea)

4. Die Zeitalter

Zweitausendsechsunddreißig mal nach der Aufführung „Die Perser“ von Aischylos hält der Frühling Einzug. Shakespeare wird geboren. Die Renaissance ist in voller Blüte. Sie feiert die Wiedergeburt des griechischen Zeitalters und befreit sich in jubelnden Tänzen des Lebens, in glühender Kunstverehrung, in kühner Forschung und Eroberung neuer Lebenskreise. All dies wird gespeist von der Fülle Griechenlands, von seinen Mythen, seinen Denkern und Dichtern, seinen Staatsmännern und, sie alle umfassend, Apollons sonnenhafter Kunstschöpfung und Athenes Städtegründung als Zielpunkt eines Zeitalters.

Der dreißigjährige Krieg ist vorbei. Mitteleuropa liegt in Schutt und Asche. Der Traum der Renaissance von einem neuen, goldenen Zeitalter scheint in unerreichbare Fernen gerückt. Aber in Europa bereitet sich ein neuer Impuls vor. Homers Schriften werden übersetzt (1443 aus Konstantinopel nach Europa gebracht, 1780 von J.H. Voß in die deutsche Sprache übersetzt), die Klassiker und Romantiker fanden eine vertiefte Auseinandersetzung mit Griechenland, die Ästhetik wird differenziert bewegt und befragt nach ihrer sozialen Dimension. Neue Hoffnung ersteht, eine reifere Renaissance zeigt sich in einem Ring von Komponisten, Dichtern und Philosophen, in regem Austausch die Würde des Menschen zu bezeugen.

Die Französische Revolution verliert ihre Richtung, Napoleon überzieht Europa mit Krieg und Umwälzung, Hölderlins Ruf: “Aber Freund, wir kommen zu spät… und wozu Dichter in dürftiger Zeit!“ tönt durch die Geburtswehen der Neuzeit. Das griechische Ideal verkommt zum falschen Schmuck einer veräußerlichten Elite und wird vom „Kaiser“ und dann vom „Führer“ endgültig in die Düsternis gezogen. Das 20. Jahrhundert rang dann hart mit der Überwindung alter Werte und Konzepte, um die Ästhetik aufzubrechen, damit sie sich endlich dem Individuum als ihrem Eigentum ergibt. Nun, vom 21. Jahrhundert aus, besteht die Möglichkeit, die durch bittere Erfahrung gewonnene Freiheit des Geistes anzuwenden auf die vergangenen Blüten der Menschheitsentwicklung. Nicht zur Wiederholung vergangener Werte, sondern um die Zukunft durch eine vitale, inspirierende Vergangenheit in voller Kraft ergreifen zu können!

5. Die Interpretation

Wenn wir über das alte Griechenland sprechen, meinen wir einen Zeitraum von 1500 Jahren. Von der Urzeit der Heroen, noch verwurzelt in den Kulturen Ägyptens, Chaldäas und Babylons über die Zeit des Krieges um Troja und Homers Wirken bis zur Hochblüte Athens, Alexander dem Großen und der Entwicklung des Stoizismus, der letzten Frucht griechischer Philosophie. Man kann also das alte Griechenland in drei Phasen einteilen. Eine mythologische Phase bis Troja, ein Mittelalter bis Homer und eine Neuzeit von Sokrates bis Poseidonios von Apameia (135- 51 v.Chr).

Das Problem für eine freie Sicht auf Griechenland liegt in dem Umstand, dass erst zu Aristoteles Zeit überhaupt historisch aufgezeichnet wurde. Über tausend Jahre nach der mythologischen Frühzeit war da schon vieles vergessen oder wurde zeitgemäß interpretiert. Dieses bildete wiederum die Grundlage für die Forschung im 18. und 19. Jahrhundert aus deren Sicht. Dann wurde in die verschiedenen Fachbereiche aufgeteilt.

Die Mousike wurde von der Musikwissenschaft bearbeitet, Demokratie von der Politikwissenschaft, Archäologie, Altertumsforschung, Soziologie usw. In Griechenland gab es aber diese Trennungen nicht, alles floss aus einem gemeinsamen Leben und Geist. Durch diese Zergliederung kam es zu vielen verzerrten und irreführenden Schlüssen über diese Zeit, die der Interessierte mühsam zur Seite schaffen muss.

Trotz neuer Forschung sind die Schulbücher immer noch angefüllt mit diesen Irrtümern. Die größte Hürde für den Zugang liegt aber wohl in der Mythologie, auf der alle Äußerungen griechischer Geistigkeit aufbauen, die sich aber dem Intellekt verschließt, da sie sich der Analyse entzieht. Mythologie ist Bildlehre und ein Bild verliert durch die Analyse sein Wesen: den Zusammenhang.

6. Die Mythologie

Die Technik der Mythologie beruht, ähnlich wie beim Märchen, auf der Auswahl passender Bilder für einen Vorgang, den man nicht begrifflich ausdrücken will. Ein Kind ist offen für Bilder, es kann sie unmittelbar aufnehmen und sie werden in ihm zur Bildung. Inhalt in allen Märchen und Mythologien sind Entwicklungsvorgänge im Menschen in Bezug zur Lebenswelt. Es entspricht das mythologische Zeitalter der Menschheit dem Kindheitszustand. Wie das Kind in seinem Wesen tiefe Einblicke in die Welt hat, so ist auch die Mythologie nicht naiv im Sinne von irrtümlichen Annahmen; so für alles, was nicht erklärt werden konnte, göttliche Wesen zu konstruieren.

Die Allegorien des Mittelalters, wo dies getan wurde, haben eine ganz andere Ausstrahlung, sind schon aus dem abstrakten Vorstellen geholt. Ähnlich wie bei Träumen kann man die Aufmerksamkeit vom gegebenen Bild zu dem lenken, was als Bewegung diesem Bild zu Grunde liegt. Im Traum z.B. ein Stehen im Feuer als Bildwirkung eines überhitzten Raums in dem man schläft, Krieg als Ausdruck einer anstehenden biografischen Veränderung, usw.
In den Taten der Götter und Heroen wurden Impulse, Widerstände und deren Überwindung ins Bild gebracht.

Verwandtschaftsverhältnisse waren  der Ausdruck für Wirkungen, die zusammengehören. Eltern – Kinder für den nächsten Entwicklungsschritt, Mann und Frau bei Göttern  für polare Erscheinung eines Impulses, oder im Götter – Menschverhältnis das Männliche für die geistige Führung, das Weibliche für die menschliche Seele selber, Geschwister für die Tätigkeit auf gleicher Ebene.
Namen wurden nie willkürlich gebraucht, sie verweisen auf Kräfte, Fähigkeiten der Person oder auf überwundene Zustände. Odysseus= der Gehasste – meint, der als Neuer von den Alten gemieden, gehasst wird.

7. Zeus

Zeus ist der Erste und Zeus ist der Letzte, er schleudert die Blitze,
Zeus ist das Haupt und die Mitte, von Zeus ist alles bereitet,
Zeus ist die Wurzel der Erd` und des Himmels mit all seinen Sternen,
Zeus ist der Atem des Alls, der Sturm des nie ruhenden Feuers,
Zeus ist der Urgrund des Meeres, Zeus Mond und auch wieder die Sonne, Zeus ist der König, ist Herr aller Wesen und aller Gesetze.

Aus den Aristotelischen Schriften –
die Botschaft von Hellas

Schaut man auf den Götterkreis der Griechen, so schaut man auf die gewaltigen Trümmer eines Tempels, dessen einstiger Bau kaum zu erahnen ist. Leiten kann die Frage nach dem grundsätzlichen Thema einer Mythologie. In Griechenland als der Wiege Europas ist es das Thema der Entwicklung zur selbstbewussten, in sich geschlossenen Persönlichkeit. Diese Spur lässt sich von der ältesten Mythologie bis zur Ausarbeitung von Philosophie und Demokratie nachweisen.

Zeus als inspirierendes Prinzip in monotheistischer Alleinherrschaft steht mit dem Blitz als Wirkung und dem Adler als Bild seiner Kraft im Zentrum. Ihm vermählt ist Hera, die Göttin des Herdes, die eifersüchtig sein Beisein anderer Frauen erblickt, diesen, wie ihren Kindern, rachesüchtig nachstellt und sie zu vernichten sucht.

Es fällt schwer zu glauben, dass die obersten Götter einer Hochkultur in kleinliche Dramen der Eifersucht verstrickt sind. Hier der Versuch einer Übersetzung in die Sprache des modernen Bewusstseins:
Zeus bringt die Entwicklung machtvoll vorwärts. Dazu verbindet er sich mit göttlichen Frauen= dem polaren Prinzip, und Menschenfrauen= seelischer Impuls. Die Kinder aus diesen Verbindungen sind neue Impulse. Hera ist das hemmende Prinzip, ihr Eingreifen besteht aus Widerständen, die sie den Heroen in den Weg stellt. Nur durch schwerste Prüfungen, durch Irrtum und Leid wird das Ziel erreicht. Diese Hemmnisse sind aber nötig, um die gesetzten Impulse voll mit der Person zu verbinden. Nur, was ich mir wirklich zu Eigen mache, kann der Entwicklung dienen. So ist Hera der Garant für individuelle Entwicklung.

In diesem Spannungsfeld zwischen Impuls (Zeus) und übender Individualisierung (Hera) ist das gesamte Götterwirken einzuordnen. Dabei gibt es hemmende Götter, wie Okeanos, die den älteren Göttergeschlechtern entstammen und impulsfördernde Götter wie Athene, Artemis und Prometheus. Die Kinder des Zeus sind Darstellungen seiner Impulse in ihrer Wirkung. Kastor, Pollux und Helena zum Beispiel stehen für die drei menschlichen Bewusstseinsstufen- Körper, Seele, Geist. Kastor als sterblicher Mensch wird durch Pollux in die Unsterblichkeit versetzt. Helena als die Seele der Griechen umkämpft in der Entscheidung von Troja im Kampf um den neuen Kulturraum Europa. Auch heute noch nennen sich die Griechen Hellenen.

Eine Zusammenstellung der Frauen, mit denen sich Zeus verband und deren Kindern und seiner jeweiligen Erscheinungsform:

8. Die großen Linien

8.1. Der Raub der Europa, Dionysos, Ödipus, Antigone
Der Bogen von Europa zu Antigone ist der älteste Sagenkreis der Griechen, der Raub der Europa die eigentliche Entstehung des neuen Kulturraums. Europa (die Klarblickende) ist Tochter der Thelephassa (die weithin Leuchtende) und des Agenor (Führer der Männer). Entführt von Zeus als Stier (Erdkräfte) nach Kreta wurde Europa gesucht von ihrem Bruder Kadmos (Bändiger der Drachenkräfte), einer der drei Alten, die alles wussten. Er gründete Theben an der Küste Kleinasiens, die erste europäische „Großstadt“ und mit Kreta zusammen der Ausgangspunkt des europäischen Kulturraums. In der Folgezeit wurde dann auch dieser Raum um das ägäische Meer von den Thrakern zuerst Europa genannt. Den nächsten Schwerpunkt bilden die Kinder des Kadmos und der Harmonia, Tochter des Ares und der Aphrodite (Harmonie zwischen männlichem und weiblichen Element): Semele (die Unterirdische), Polydoros (Mann der vielen Geschenke), Agaue (die Mutter des Pentheus).

Semele wurde die Geliebte des Zeus, durch ihn schwanger. Auf ihre Bitte, er möge sich in seiner wahren Gestalt zeigen, erschien Zeus als Blitz und verbrannte Semele zu Asche. Der Götterbote Hermes rettete das Kind, und Zeus trug es in seinem Schenkel drei Monate aus. Geboren wurde Dionysos. Der Kult des Dionysos führte mit dem Tanz und der kultischen Droge, dem Wein, zu einer in sich geschlossenen Persönlichkeit. Die Bacchantinnen als Priesterinnen des Dionysos fühlen in sich diese Kraft der Ichheit in einem Maße, dass sie mit bloßen Händen auf wilde Tiere zugehen und diese bändigen oder zerreißen. So erkennt Agaue im dionysischen Zustand nicht ihren Sohn Pentheus, sondern in der männlich, abstrakten Intellektualität das Nicht- Menschliche, das Tier und zerreißt ihn. („Die Bakchen“ von Eurypides). Bei Platon schließlich wird Dionysos darüber hinaus mit Hermes in Verbindung gebracht, der die Seelen in die Unterwelt führt, während Dionysos sie aus der Unterwelt zur Reinkarnation bringt.

Polydoros, der Bruder der Semele, ist der Großvater von Laios, dem Vater von Ödipus; die Gattin des Laios ist Iokaste, die Tochter des Pentheus. Laios hatte einem Fluch auf sich geladen, indem er den Sohn des Pelops, Chrysippos (Goldpferdchen) zur Liebe entführte. Es war der Beginn der Knabenliebe als Folge einer übersteigerten Intellektualität. Das Pferd war immer Bild für das menschliche Denken. Laios hätte das goldene Denken in sich entwickeln müssen, statt es zu veräußerlichen, zu rauben. So zog er den Fluch auf sich, der von Ödipus erlitten und erkannt wurde, und erst mit dem Tod seiner Kinder gesühnt war. Im 14 Jahrhundert vor Christus wurde Theben zerstört, drei Generationen nach Antigone begann der Trojanische Krieg.

8.2. Troja, Agamemnon, Helena, Odysseus
Der Kampf um Troja ist der dynamische Wendepunkt in der frühen griechischen Geschichte zum griechischen Mittelalter. Mit dem Sieg über den Orient sammelten sich die griechischen Stämme bei aller weiteren Verschiedenheit und kriegerischen Auseinandersetzung zu einem gemeinsamen Bewusstsein eines Kulturraums: Europa ist gesichert. Ab jetzt entsteht ein zunehmend eigenes Bewusstsein, das sich besonders in der Ausbildung von persönlichem Bewusstsein in Form der Gestaltung der Umwelt= Kunst und dem Innewerden eines selbstständigen Denkens= Philosophie zeigt.
Überall wird die Selbstbestimmung der Person geübt und dargestellt.

Der Sagenumkreis der Illias und der Odyssee, als geschlossenes Kunstwerk von Homer überliefert, zeigt die Vorbereitung des modernen Bewusstseins in grandiosen Bildern. Die Kinder von Leda und Zeus, Kastor, Pollux und Helena, bilden die Achse. Troja wurde damals als dekadente Kulturstufe erlebt, ähnlich wie Babylon von den Juden. Die Dekadenz verlockt immer, den einfachen, weil alten Weg zu gehen, anstatt sich auf das Neue einzulassen, das immer mit Mühen, Gefahr und Schmerz verbunden ist. Die Schönheit war im alten Griechenland selbstverständlicher Kulturwert wie heute die intellektuelle Selbstbestimmung. Helena als die schönste aller Frauen war ein Bild für die griechische Seele selbst. Den Raub kann man auch als ein Hineingezogensein in die Dekadenz des alten Orient erleben. Es war nun Odysseus selber, der den Stammesfürsten riet, einen Schwur zum Schutz der Helena bei der Heirat mit Menelaos zu machen. Dieser Schwur sammelte nun die Flotte der Griechen mit dem Impuls, Helena= die Seele Griechenlands, aus der Dekadenz alter Entwicklungen zu befreien.

Troja war ein Tempelort der Aphrodite. Ihr gab Paris, dem Prinzen von Troja, den Preis im Wettstreit der drei Göttinen. Er verschmähte Hera, die ihm Kriegsglück verhieß und Athenes Weisheit, um sich Aphrodite anzuschließen, die ihm den Besitz der Helena versprach. Aphrodite nur als Göttin der Liebe/ Erotik darzustellen ist eine moderne Engführung. Sie steht eigentlich für die Geschlechterfolge, also für ein nicht individuelles Prinzip. Es gibt auch Darstellungen von Aphrodite, in der sie unter ihren schönen Gewändern eine Rüstung trägt. Die Geschlechterfolge wird hart umkämpft, das ganze tragische Prinzip des Altertums ergibt sich aus den Kämpfen um die Geschlechterfolge und den Erkenntnissen, die im Erleiden von Mord und Verrat sich für die Einzelperson daraus ergibt.

Auch beim Personenkreis der Griechen kann man ein Spannungsfeld erleben, das die Entwicklung vorwärts bringt. Das Brüderpaar Agamemnon und Menelaos, Kinder des Artreus, Könige von Mykene und Sparta, sind die Leiter des Unternehmens. Agamemnon wird geschildert als maßlos in seinem Machtwillen, wie sein Vater Artreus, der seinem Bruder Thyestes im Streit um den Tron und aus Eifersucht dessen Kinder zum Mahl vorsetzte, worauf dieser das ganze Geschlecht verfluchte. Agamemnon zieht beständig Besitz an sich, der ihm nicht zusteht. Dadurch kommt es unter anderem zur Opferung seiner Tochter Iphigenie, zum Zorn des Archilleus, der Tausenden das Leben kostete und den Krieg auf 10 Jahre streckte. Seine Gattin Klytaimnestra schließlich vollzog die Rache und erschlug ihren Gemahl bei seiner Rückkehr aus Troja im Bad. Der Fluch des Thyestes wirkte weiter. Orest und Elektra morden die eigene Mutter in Rache für ihren Vater und erst nach langer Irrfahrt, auf der Orest seine Schwester Iphigenie wiederfindet, kommt der Fall in Athen vor Gericht. Es ist das erste Mal, dass eine Götterangelegenheit (Apoll hatte den Racheakt dem Orest befohlen) vor einem menschlichen Gericht beraten wird. Damit ist mythologisch der Übergang von der Wirkung der Rachegöttinnen auf die menschliche Gerichtbarkeit durch Athene selber vollzogen. Der Mensch hat nun Verantwortung für sein Urteil.

Neben dem Themenkreis Ödipus- Antigone ist der Zusammenhang von Agamemnon, Helena, Iphigenie und Orest der bevorzugte Dramenstoff der großen Dramatiker.

Odysseus ist der Überwinder von Troja durch die Schärfe des Verstandes. Er trägt den Bogen als Waffe, Bild für den Flug des gezielten Gedankens. Um den Sieg möglich zu machen, musste sich Archilleus opfern, der Göttersohn. Ein Opfer alter Vitalkräfte zu Gunsten der Verstandes-entwicklung, wie auch bei Ajax und vielen Kämpfern auf der trojanischen Seite.

Doch auch Odysseus kommt in die Selbstüberschätzung. Dafür versagt ihm Poseidon die Rückkehr. Die neue Kraft muss erst durch eine Reihe von Prüfungen hindurch, es sind zwölf, vergleichbar den Prüfungen des Herakles. Bei Odysseus ist das Bild des Schiffbruchs leitend. Durch die Prüfungen wird er nach und nach all seiner Schiffe (12 rote Schiffe, die der anderen Archäer sind schwarz) und all seiner Mannschaft und Freunde verlustig. Sein Aufenthalt bei und Circe und Kalypso sind jedoch auch Lehrzeiten, in denen er in die Geheimnisse des Apollon eingeweit wird.

Odysseus ist einer der wenigen Helden, der Zugang zur Unterwelt, dem Jenseits erhält, um die tiefen Geheimnisse der Toten zu erfahren. Der Weg des Odysseus ist also eine Lernzeit von 9 + 1 Jahren, in der Prüfungen und Unterricht sich abwechseln. Sein Ziel, die Heimat, ist nicht sentimental gemeint, sondern im Ankommen bei sich selbst auf einer neuen Stufe. Die Bilder sind teils schwierig und nicht ohne Vorkenntnisse zu lesen. Bei Fragen gebe ich gerne differenzierte Auskunft.

Als Beispiel sei hier noch die Prüfung bei den Sirenen behandelt. Meist gesehen als eine Art erotischer Verführung. Sie jedoch singen:

“Komm, gepriesener Odysseus, du großer Ruhm der Achäer,
Lege dein Schiff hier an, um unsere Stimme zu hören;
Denn hier fuhr noch keiner im schwarzen Schiffe vorüber,
Eh er die honigtönende Stimme aus unseren Mündern
Hörte; er kehrt dann heim, erfreut und reicher an Wissen;
Denn wir wissen dir alles, wie viel in Troja, dem weiten,
Die Argeier und Troer mit Willen der Götter gelitten,
Wissen, was immer geschieht auf der vielernähren Erde.“ (Homer, Odyssee, 12. Gesang)
Die Sirenen sind Bild für ein nicht individualisiertes Wissen, das dem Menschen dadurch gefährlich wird, dass er die Steuerung seiner irdischen Existenz verliert, und am Fels der Notwendigkeit zerschellt.
Goethe beschreibt das so: Alles, was unseren Geist befreit, ohne uns die Herrschaft über uns selbst zu geben, ist verderblich
(Sprüche in Prosa).

Praxis > die Ausübung der Kunst

9. Das griechische Theater

  • Das tragische Schicksal entsteht durch Unrecht, das der Held nicht durchschaut. (Aristoteles)
  • Mein Leid ist so, dass keiner auf Erden, außer mir, es tragen kann. (Aus Ödipus – Sophokles)

In allen alten Kulturen war Kunst und Gottesdienst eine Einheit, Aufführungen darstellerischer Art in Tanz und Sprache kultische Handlung im Tempelbezirk. In Asien kann man auch heute noch eine lebendige Anschauung darüber erlangen. Darstellung wurde verstanden als der Kontakt zu Göttern und deren Absichten. Das war auch im alten Griechenland nicht anders. Inspiriert durch Orpheus, dem großen Inspirator der griechischen Kultur, entwickelten sich der Dionysoskult. Der Zusammenhang mit Rausch und Extase fällt in spätgriechische und römische Kulturstufen.

Der eigentlichen Impuls der Dionysien lag in der Anschauung, dass das Menschenich zersplittertes Gottesbewusstsein ist, verteilt in die einzelnen Individuen. Diese Anschauung wurde schon in der ägyptischen Isislehre verfolgt, in der Osiris von Typhon zerrissen wurde. So sprach man auch in Griechenland davon, dass die Menscheniche die Tränen des Dionysos sind. Man erlebte aber auch im Menschen selber diese Zerrissenheit. Durch die Begrifflichkeit liegt die Welt als eine gewaltige, verwirrende Summe von Einzelfragmenten vor uns. Der dionysische Kult bestand nun darin, den Menschen in eine umfassende Sicht der Welt hereinzuholen, indem er sich selbst erlebt als ein Wesen, das sich entwickelt und verwandelt.

Furcht, Mitleid und Karthasis waren die Begriffe, die für diesen Weg geprägt wurden. Die Darstellung erzeugte durch ihre dramatische Größe Furcht, die gewaltigen Zusammenhänge des Lebens wurden erahnt. Im Miterleben der Tragik des Helden entwickelte sich Mitleid, das war eine konkrete, persönliche Beziehung  zur Handlung. Daraus konnte Karthasis, Reinigung, Heilung entstehen, das heißt, Entwicklung wurde möglich. Alle griechische Kultur folgt diesem Ideal der Weckung der Individualität in Kunst, Philosophie und Staatslenkung.

Dies ist der Urimpuls des Theaters, an dem sich bis heute eigentlich nichts geändert hat. Alle bloße Unterhaltung ist diesem Impuls fremd. Der Übergang von der Entwicklungsidee in reine Unterhaltung fand im 3. Jahrhundert vor Chr. statt und wurde in dieser Zeit wach beobachtet und kommentiert. Es war das Ende der griechischen Hochkultur.

Unsere Kultur wird sich daran messen lassen, in wie weit sie diese Impulse neu ergreift und Kunst, Wissenschaft und Religion zu einer Einheit im Selbstbewusstsein zusammenfassen wird.

Zur Inszenierung:

Die Sprache

Die Sprache der klassischen, griechischen Dramen wirkt fremd, vor allem in den Übersetzungen des 18., 19. Jahrhunderts.

Dies hat verschiedene Ursachen. Wir sind seit etwa 60 Jahren an eine Sprache gewohnt, die hauptsächlich die Aufgabe hat, Fakten zu vermitteln. Die Emotionalität findet darin immer weniger Platz. So wird die Ausflucht in Symbolen gesucht, Smilys und lg`s transportieren Gefühle in der Konversation. Die enorme Sprachdifferenzierung des 18., 19. Jahrhunderts wirkt für heutige Ohren überformt und gestelzt. Dazu kommt die Schwierigkeit, dass alle alten sprachlichen Kunstwerke im Rhythmus gehalten sind. Auch diese geht unserer Kultur komplet verlustig. Eine rhythmische Dichtung entfaltet ihre eigentliche Dimension aber erst, wenn ich sie auch im Rhythmus spreche.

Es fordert vom heutigen Pädagogen viel Mut, Laien in rhythmische Hochsprache zu führen. Aber es lohnt sich! Haben die Teilnehmer erst einmal die Schönheit, Komplexität und Dynamik dieser Sprache erlebt, entsteht eine Liebe und Sehnsucht nach dieser Gestaltung.

Tips zur Heranführung an die rythmische Sprache

  • Nur mit Texten arbeiten, die man selber rhythmisch voll beherrscht.
  • Für den Anfang Inhalte wählen, die einen selber begeistern, und bei denen man davon ausgehen kann, dass sie auch die Gruppe begeistern.
  • Die rhythmische Arbeit kostet am Anfang viel Kraft, - kurze Einheiten machen, in einer Phase, in der die Gruppe gut bei Kräften ist.
  • Für die Eingewöhnung eine Zeit von einem Monat einplanen, dann entsteht Tragfähigkeit, und man kann weitere Texte dazunehmen.
  • Rhythmus lebt in den Füßen, im Schreiten. Um so mehr die Gruppe an Beinarbeit gewohnt ist, desto leichter wird ihr die rhythmische Gestaltung fallen.

Stückauswahl

Die Auswahl von Stücken oder Stoffen für eine Gruppe ist höchst individuell. Der Stoff sollte mich selber voll packen, dann kann ich auch die Gruppe begeistern. Die Einbeziehung von Textdichtung empfiehlt sich wegen der hohen Formqualität und der Entfernung vom Alltag der Teilnehmer. Es gelingt dadurch besser, neue Erfahrungsbereiche zu öffnen und einen belebenden Kontrast zur eigenen Biografie herzustellen.

Je nach Neigung und Gruppe kann ich vom Stoff ausgehen, oder von einem Werk.

Beim Ausgangspunkt vom Stoff, z.B. Irrfahrt, Lebensreise, kann ich verschiedene Werke heranziehen: Homer/ Odyssee, Dramen aus dem Umkreis des Kampf um Troja, moderne Formen.

Beim Ausgangspunkt von einem Werk bietet sich an, bestimmte Szenen oder Teile im Original zu nehmen, andere Stellen über die Improvisation in eigene Texte zu fassen, oder auch in der Aufführung in der Form der Improvisation zu bleiben. Dadurch erhält man lebendige Kontraste und gegenseitige Anregung der verschiedenen Formebenen.

Chorleitung

Über das Wesen des griechischen Chors gibt es widersprüchliche Forschungsergebnisse.

Ursprünglich war der Chor wohl der Tanzplatz, bzw. die Tänzer, die das Wort der Sprecher und Schauspieler in Bewegung umsetzten, darstellten.

Im Wort Katastrophe klingt das noch nach. Eine Strophe war eine schnelle Bewegungssequenz der Tänzer, des Chors; Katastrophe eine schnelle Abwärtsbewegung.

Die gesamte Aufführung bestand also aus den Rezitatoren, heute Sprechchor genannt, dem Einzelsprecher, Schauspieler, instrumentaler Begleitung, nur unmittelbar zum gesprochenen Wort, und den Tänzern (kein Reigen, wie oft transportiert, sondern eher mit heutigem Ausdruckstanz vergleichbar).

Heute wird üblicherweise der Chor dramatisch geführt, tänzerische Elemente sind aber eine sinnvolle Ergänzung zur Stilisierung von Emotionen und Handlungszusammenhängen.

Der Einsatz des Chors in der Inszenierung ist ein wunderbares Mittel in seiner Farbigkeit, Kraft und Dramatik, und richtig geführt ist er eine erstklassige Schulung für Emotion und Raum/Körpergefühl. Er bietet in der Probe außerdem den Vorteil, auch mit fehlenden Einzelpersonen voll handlungsfähig zu sein.

Individualität und Gruppe

Im Wesen ist ein Chor immer Verstärkung von Darstellung. So ist es beim Chor besonders wichtig, sich klar zu machen, was man gerade verstärkt. Dies gilt für Sprache und Bewegung gleichermaßen. Die Gefahr bei der Choranleitung und Führung ist polar. Durch die Gruppe ist immer die Tendenz einer Reduzierung der individuellen Impulse gegeben.

  1. Mechanisierung, die Gruppe verfällt in Letargie, der Ausdruck wird monoton.
  2. Dynamisierung, die Gruppe kommt in den Powerdrive, genießt sich in der Energie und verliert die Kontrolle, die Form.

Übungen dazu:

  1. Regelmäßig kleinere Passagen einzeln machen lassen. Das verstärkt den individuellen Impuls.
  2. Kleinschrittig Passagen wiederholen, sichert die Form, stärkt den Willen und das Aufwachen für Gestaltungselemente.
  3. Immer wieder bewusst in die polare Einseitigkeit gehen. Die Gruppe soll versuchen, so monoton, langweilig wie möglich zu sprechen, oder, - jeder setzt rücksichtslos seine eigenen Impulse durch. Dadurch kann sich der Chor in eine produktive Mitte einpendeln.
  4. Variationen zur Anregung der Lebendigkeit. Die Texte singen, flüstern, rappen, Pantomine, Ausdruckstanz, usw..

Choreographie und Raum

Nutzung des Chors in der räumlichen Wirkung

Übungen dazu:

  • Eine Person führt den Chor nur mit der Geste, einem Finger, dem Blick.
  • Raumesrichtungen bewusst machen, Dimensionen von Oben, Unten, Vorne, Hinten, Links, Rechts als Qualität untersuchen und einsetzen.
  • Geometrie und Flächenaufteilung probieren.
  • Ganzer Chor, einzelne Gruppen, Einzelpersonen einsetzen, variiren.

Choreographie und Zeit

Zeitliche Dynamik

Übungen dazu:

  • Bewegung schnell zu langsam: Form, persönlicher Eindruck, Spannung
  • Bewegung langsam zu schnell: Richtung, Eindruck der Tat, Dramatik
  • Musikalische Begleitung: Melos, Rhythmos, Takt durch Instrumente, Geige, Gitarre, Querflöte, Trommel.
  • Melos: Stimmung, emotionaler Fluss
  • Rhythmos: dramatische Spannung, Präsenz in der Gestik
  • Takt: Erdung, Stärke in den Raum

Inhaltliche Ausrichtung des Chors:

Der Chor im klassisch griechischen Theater hat verschiedene Aufgaben.
Hier klar zu gliedern gibt Struktur und dramaturgische Sicherheit.
Die Beispiele sind an der inhaltlichen Ausrichtung orientiert, der Chor als
Spiegel des Geschehens,
als Akteur,
als Prophet,

  • Episch: Schilderung des Vergangenen
  • Dramatisch: Handlung, Eingreifen
  • Lyrisch: Bezug zur Zukunft, zur Weisheit, zur Ewigkeit

Aus Antigone/ Sophokles, Übersetzung von Ernst Buschor

Beispiel für epischen Chor:

Einzugslied des Chors, 1., 2. Strophe

Chor der Ältesten von Thebe

Erste Strophe
Strahl der Sonne, dein himmlisches Licht
Prangte niemals so hell wie heut
Über der siebentorigen Stadt!
Augenlied eines goldenen Tags
Schlugst du heut so freudig auf
Über der Dirke hochheiligem Quell.
Grimmen Feind, der von Argos kam,
Blinkenden Schilds, mit der ehernen Wehr,
Triebst du in immer noch wilderer Flucht
Lockersten Zügels.

Zwischentakt
Als der Bruderzwist sich erhob, entbot
Polyneikes den Feind in sein eigenes Land
Und mit gellem Schrei
Wie ein Adler stieß er auf unsere Stadt
Mit dem schneehell glitzernden Fittich des Schilds,
Mit der Waffen Gewog,
Mit den helmumflatternden Büschen.

Beispiel für den dramatischen Chor:

4. Hauptszene

Wechselgesang, Erste Strophe

Antigone
Seht mich, Bürger der Heimat,
Schreiten den letzten Weg,
Schauen zum letzten Male die Strahlen
Des heiligen Lichts
Und niemals wieder! Der alle bettet,
Hades führt die noch Atmende
Zu Acherons Ufer,
Ganz um das Brautlied Betrogene,
Keiner sang mir die festlichen Hymnen,
Hades bin ich vermählt.

Chor
Doch gehst du gerühmt, hoher Ehre voll,
Hinunter ins Dunkel der Toten.
Kein Leiden hat dich versehrt,
Kein Henker erhob sein Schwert;
Nach eignem Gesetz, einzig unter den Sterblichen,
Ziehst du lebend hinab.

Antigone
Trauriges Ende vernahm ich
Jener phrygischen Frau,
Tantals Tochter, auf Sipylos` Gipfel:
Wie Epheugeflecht
Umwand sie gierig der Arm des Felsens,
Unablässig – so sagte das Volk –
Verzehrt sie der Regen,
Ewiger Schnee; auf die Schroffen
Tropft sie Flut ihrer Wimpern. Der Dämon,
Ganz so bettet er mich.

Chor
Göttlich ist sie, aus Göttergeschlecht,
Wir sind Menschen aus Sterblichem Samen.
Doch, sei es im Tode,
Lose der Götter zu teilen,
Ist hohes Geschick,

Antigone
O grausamer Hohn!
Warum, bei den heimischen Göttern,
Höhnt ihr nicht erst die Tote,
Höhnt die noch wandelt im Licht?
Theben! O Thebens
Gesegnete Männer!
Dirkes heilige Quellen im Hain
Wagenprangender Stadt!
Ich ruf euch alle, ihr müsst es bezeugen:
Ohne die Klage, nach schnödestem Brauche,
Zieh ich zum hohlen Geheg meines Grabes,
Unerhörtem Totenhaus,
Weh, ich Unselige wohne
Nicht bei Menschen, nicht bei Leichen,
Fern von den Lebenden, fern von den Toten.

Chor
Hohen Gipfel erklomm dein Trotz;
Droben, vor dem Altar des Rechts,
Tatst du, Kind, deinen tiefsten Sturz,
Väterschulden bezahlend.

Beispiel für den lyrischen Chor:

Schlussszene
Trauerzug mit der Bahre

Kreon
Komm, o komme,
Erscheine, eile,
Du schönste der Stunden!
Bringe des Lebens Beschluss!
Festlicher Tag o erscheine,
Laß keinen neuen Morgen leuchten!

Chorführer
Dir kommt dein Tag! Uns kümmert die Gegenwart,
Von Anderen wird das Andere erfüllt.

Kreon
Aus tiefstem Herzen stieg die Bitte auf.

Chorführer
Laß deine  Bitten! Jedem Menschen ist
Sein unabänderliches Ziel gesetzt.

Kreon
Führt den Narren doch beiseite,
Der dich armes Kind
Blindlings getötet und diese!
Nirgends ein Licht,
Nirgends ein Stab,
Alles entgleitet der Hand,
Grausam traf das Geschick
Mein Haupt.

Chor
Aller Güter allerhöchstes
Ist die Einsicht, und keiner entweihe
Götterbereiche!
Große Worte:
Ach, große Wunden schlagen sie Prahlern
Und große Wunden
Lehren noch Greise
Die Einsicht.

 

Übersetzungen

Die verschiedenen Übersetzungen zeichnen sich durch bestimmte Schwerpunktbildungen aus. Das sind im Wesentlichen:

  • Rhythmusbetonung
  • Inhaltsbetonung
  • Formbetonung
  • Handlungsbetonung

Die Auswahl liegt im eigenen Inszenierungskonzept. Nicht immer ist die zugänglichste Übersetzung auch die Fruchtbarste. Es lohnt sich, verschiedene Übersetzungen auszuprobieren, um herauszufinden, was in der jeweiligen Situation passt, auch hier sind Kontraste spannend.

Beispiele

Antigone/ Sophokles

Übersetzung durch Ernst Buschor, 1979

Inhaltsbetonung

Einzugslied des Chors, 1., 2. Strophe

Chor der Ältesten von Theben

Erste Strophe

Strahl der Sonne, dein himmlisches Licht

Prangte niemals so hell wie heut

Über der siebentorigen Stadt!

Augenlied eines goldenen Tags

Schlugst du heut so freudig auf

Über der Dirke hochheiligem Quell.

Grimmen Feind, der von Argos kam,

Blinkenden Schilds, mit der ehernen Wehr,

Triebst du in immer noch wilderer Flucht

Lockersten Zügels.

 

Zwischentakt

Als der Bruderzwist sich erhob, entbot

Polyneikes den Feind in sein eigenes Land

Und mit gellem Schrei

Wie ein Adler stieß er auf unsere Stadt

Mit dem schneehell glitzernden Fittich des Schilds,

Mit der Waffen Gewog,

Mit den helmumflatternden Büschen.

 

Übersetzung durch Hölderlin, 1804

Rhythmusbetonung

 

 

Chor der thebanischen Alten

Erste Strophe

O Blick der Sonne, du schönster, der

 Dem siebentorigen Thebe

 Seit langem scheint, bist einmal du

 Erschienen, o Licht, bist du,

 O Augenblick des goldenen Tages,

 Gegangen über die dirzäischen Bäche,

 Und den Weißschild, ihn von Argos,

 Den Mann, gekommen in Waffenrüstung,

 Den hinstürzenden Flüchtling

 Bewegst du mit der Schärfe des Zaums, ihn,

 Mit welchem über unser Land

 Sich geschwungen Polynikes

 Aus zweideutigem Zank, und scharf wie ein Adler

 Schrie er und flog,

 Schneeweiß sein Flügel,

 Furchtbar, mit Waffen viel

 Und Helmen, geschmückt mit dem Roßschweif.

 

Schluss- Chor

Aller Güter allerhöchstes

Ist die Einsicht, und keiner entweihe

Götterbereiche!

Große Worte:

Ach, große Wunden schlagen sie Prahlern

Und große Wunden

Lehren noch Greise

Die Einsicht.

 

 

Schluss- Chor

Um vieles ist das Denken mehr denn

Glückseligkeit. Man muß, was

Himmlischer ist, nicht

Entheiligen. Große Blicke aber,

Große Streiche der hohen Schultern

Vergeltend,

Sie haben im Alter gelehrt, zu denken.

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Elektra

 

übersetzt von Wolfgang Peter 1998

Handlungsbetonung

 

Erster Auftritt

Elektra:

O heiliges Licht

 und erdumfassende Luft! Wie oft

 hört ihr mein Klagelied, mein

 Schrein und wie ich rastlos

 schlug an meine blut'ge Brust,

 sobald die finstre Nacht entwich!

 Die bitteren Lager in diesem leidigen Haus,

 sie wissen um mein nächtlich Leid.

 Den Vater beklag ich, den Ares nicht

 im fernen Feindesland erschlug,

 die Mutter aber, meine, und ihres

 Lagers Genosse Aigisthos,

 wie Holzfäller den Eichbaum,

 so spalteten sie ihm das Haupt

 mit blutigem Beil!

 Und keine Klage erhebt sich darüber,

 als allein von mir, um dich, mein Vater,

 der erbärmlich verging und voller Schmach!

 

Doch nein, niemals

 verstumme meine Totenklage

 und der bittre Grabgesang,

 solange ich die schimmernden Strahlen

 der Sterne seh und jeden neuen Tag,

 daß ich nicht gleich ihr, der man ihr Kind erschlug,

 der Nachtigall, den Wehruf durch die väterlichen

 Türen widerhallend hinausschrei!

 O Haus des Hades und Persephones!

 O unterird'scher Hermes und du, Ara,

 gebietende Göttin des Fluchs!

 Und ihr, göttliche Töchter, erhabene Erinnyen,

 die ihr schaut auf die, denen man heimlich stahl

 das Bett und schändlich sie hinweggerafft.

 Kommt! Helft! Erlöst mich!

 Rächt den Mord an unserm Vater

 und schickt den Bruder mir!

 Denn ich allein vermag nicht mehr,

 die Waage zu halten dem lastenden Weh!

 

 

 

 

 

 

 

(Der Chor der Frauen von Mykene tritt auf)

Chor:

O Kind! Kind der unseligsten

 Mutter, Elektra! Warum zernagt

 unstillbare Klage dich

 um den von der verruchten

 Mutter arglistig überwältigten, von

 schnöder Hand verratnen Agamemnon?

 Es mag vergehn, wer es ersann,

 geziemt mir solcher Fluch!

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Elektra

 

Quelle: GR : Individuum und Gesellschaft

Formbetonung

 

Erster Auftritt

Elektra:

O heiliges Licht

und Luft, je gleichen Anteil an der Erde, wie

viele Trauergesange habt ihr von mir gehört,

wie viele Schlage gegen meine

blutverschmierte Brust habt ihr mitbekommen,

immer wenn die dunkle Nacht vorüber ist.

Die verhassten Betten wissen um die Leiden

der elenden nächtlichen Feste im Haus,

die ich alle für meinen unglücklichen Vater

erleide, den der mörderische Ares nicht gastlich

in barbarischer Erde aufgenommen hat,

meine Mutter aber und ihr Bettgefährte

Aigisthos haben wie Holzfäller eine Eiche

seinen Kopf mit dem mörderischen Beil den Kopf abgeschnitten,

und kein Klagen darüber wird von einer anderen Frau

als von mir vorgetragen, weil du, Vater, so

schimpflich und bejammernswert ermordet worden bist.

Ich werde keinesfalls

mit den Trauergesängen und den verhassten Klagen aufhören,

solange ich die hell leuchtenden Strahlen

der Sterne sehe und diesen Tag,

wie eine ihrer Jungen beraubte Nachtigall

laut auszusprechen, um zu klagen, für alle

als Nachhall vor den Toren des väterlichen Palastes:

O Haus des Hades und der Persephone,

unterirdischer Hermes und Herrin Ara

und ihr ehrwürdigen Kinder der Götter, Erinnyen,

die ihr die zu Unrecht Sterbenden seht und

die ihres Lagers heimlich Beraubten,

kommt, helft mir und rächt den Mord

an unserem Vater,

und schickt mir sofort meinen Bruder!

Denn ich allein habe nicht mehr die Kraft,

die Last der Trauer im Gleichgewicht zu halten.

 

CHOR:

Kind Elektra, Kind einer, ach, heillos

schlimmen Mutter, wie schmilzt

unersättlich dein Klagelied um den,

der von der tückischen Mutter vorzeiten

mit ruchloser Arglist umgarnt, Agamemnon,

und mit frevler Hand geopfert ward? Käme, wer es verbrach,

doch um, wenn mir dies Wort erlaubt ist!


Homer/ Odyssee

 Übersetzung von Johann Heinrich Voss

Im Hexameter

 

Sage mir, Muse, die Taten

_  v   v      _   v   v     _  v  v /

des vielgewanderten Mannes,

v     _    vv_     v    v    _       vv/

 Welcher so weit geirrt,

nach der heiligen Troja Zerstörung,

 Vieler Menschen Städte

gesehn, und Sitte gelernt hat,

 Und auf dem Meere so viel'

unnennbare Leiden erduldet,

Seine Seele zu retten,

und seiner Freunde Zurückkunft.

 Aber die Freunde rettet'

er nicht, wie eifrig er strebte,

 Denn sie bereiteten selbst

durch Missetat ihr Verderben:

 Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers

 Schlachteten; siehe, der Gott

nahm ihnen den Tag der Zurückkunft,

 Übersetzt von Kurt Steinmann.

Im Hexameter

 

Muse, erzähl mir vom Manne,

_   v    v  _     v     v      _     v v/

dem wandlungsreichen, den oft

v      _        v     v _  v       v     _

es

v  v/

abtrieb vom Wege, seit Trojas

heilige Burg er verheerte.

Vieler Menschen Städte

sah er und lernte ihr Denken

kennen und litt auf dem Meer

viel Qual in seinem Gemüte,

trachtend, sein Leben zu sichern

und seinen Gefährten die Heimkehr.

Gleichwohl rettete er sie

nicht, wie sehr er es wünschte;

denn sie gingen durch eigene

Freveltaten zugrunde,

Narren, die des Hyperion-

Sohnes, des Helios, Rinder

in sich stopften; doch der

nahm ihnen den Tag ihrer Heimkehr.

Andra moi ennepe, Musa,

polütropon, hos malla polla

planchtä, epei Trojäs,

hieron ptoli-ethron epersen

pollohn d’anthropohn

iden astea kai no-on engnoh

polla d’ho g’en pontoh

pathen algea hon kata thümon

arnümenos hen te psüchän

kai noston hetairohn.

(Lautschrift)

Andra moi ennepe mousa,

polutropon, oV mala polla

plagcqh, epei TroihV

ieron ptolieqron epersen,

pollvn d’anqrwpwn

iden astea kai noon egnw

polla d’ o  g’ en pontw

paqen algea on kata qumon,

arnumenoV hn te yuchn

kai noston etairwn.

 

 

Schlussbemerkung

Diese Schrift ist als Zusammenfassung von Gedanken und Übungen eine Anregung, weit entfernt, den Stoff umfassend zu beschreiben. Sie hat ihr Ziel erreicht, wenn sie Neugierde erweckt. Wie hoffen auf regen Austausch!

Für DIE SCHULE
Hans-Ulrich Ender und Sandra Schürmann